Eine Frage der Zeit
Sonnenstrahlen fielen durch das Schlafzimmerfenster und fingen sich in ihrem blonden Haar. Velten war seit ein paar Minuten wach und beobachtete Susanne, die neben ihm schlief. Sie hatten gestern lange auf seinem Balkon gesessen, den lauen Abend genossen, geredet und gelacht und zuviel Wein getrunken. Und dann hatten sie miteinander geschlafen, nicht zum ersten Mal seit ihrer Scheidung vor fast zwei Jahren und, wenn es nach ihm ging, auch nicht zum letzten Mal.
Keiner von ihnen hatte seit ihrer Trennung eine ernsthafte Beziehung mit einem anderen Partner begonnen. Wahrscheinlich wären sie längst wieder zusammen, wenn sie nicht beide wüssten, dass es wieder nicht funktionieren würde. Tatsächlich war ihre Ehe nicht an fehlender Zuneigung und schon gar nicht an mangelnder Leidenschaft gescheitert. Es war der Alltag gewesen, den sie nicht hatten meistern können. Sie waren zwei Dickschädel, die es beide nicht fertiggebracht hatten, zugunsten des andern zurückzustecken.
Susanne öffnete die Augen und blinzelte. Es brauchte eine Weile, bis sie registrierte, dass er neben ihr lag. „Du hast es schon wieder getan“, murmelte sie verschlafen.
„Was getan?“
„Mich betrunken und willenlos gemacht und in dein Bett gezerrt. Ich sollte dich auf der Stelle verhaften.“ Sie streckte sich ausgiebig. Velten konnte seine Augen nicht von ihrem Körper abwenden, der sich verführerisch unter dem leichten Leinentuch räkelte. Sie spürte seinen Blick und lachte. „Du willst doch nicht etwa zum Wiederholungstäter werden.“
„Kommt drauf an, welche Strafe mir das einbringen würde.“
In einer schnellen Bewegung rollte sie sich über ihn. Ihr weiches Haar fiel auf sein Gesicht. Er spürte ihre warmen Lippen an seiner Wange. „Ich lasse Gnade vor Recht ergehen“, flüsterte sie in sein Ohr.
- - -
Eine gute Stunde später war Velten unterwegs zum Pressehaus. Wie üblich hörte er während der Fahrt zur Arbeit die Morgennachrichten von Radio Waldenthal mit Edda Sahm. Er hätte es ihr gegenüber nie zugegeben, doch er hielt sie für eine fähige Journalistin, die ihr Talent leider bei einem völlig niveaulosen Sender verschwendete. Für den kommerziellen Dudelfunk waren ihre gut recherchierten Inhalte nicht viel mehr als eine unvermeidbare Störung des eigentlichen Programms, das im Wesentlichen aus belangloser Popmusik und Werbeblöcken bestand. Mit dieser Mischung erreichte der Sender jedoch weit mehr junge Waldenthaler als alle anderen Lokalmedien zusammen. Der Sprecher moderierte eben die „Morning News“ an, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass das Programm danach mit dem Hit irgendeines Castingsternchens fortgesetzt werde.
„Edda, du hast gestern an einer Pressekonferenz der Polizei teilgenommen.“
„Das ist richtig, Rouven“, sagte Edda Sahm und Velten drehte unwillkürlich die Lautstärke herunter. „Vorgestern wurde in der Nähe des Einkaufszentrums an der Zeppelinstraße die Leiche eines Mannes gefunden. Er war mit zahlreichen Messerstichen brutal ermordet worden.“
„Darüber hat Radio Waldenthal ja in den News mehrfach berichtet“, unterbrach der Moderator. „Hören wir uns noch einmal an, was die Polizeipräsidentin zu dem Fall gesagt hat.“
Es folgte ein kurzer Einspieler, in dem Barbara Räder die wesentlichen Aussagen aus der Pressekonferenz noch einmal zusammenfasste. „Soweit das Statement der Polizei“, sagte der Moderator. „Man geht also davon aus, dass der Mann, der auf so bestialische Weise umgebracht wurde, etwas mit dem Fall Landau und dem Mord an Alexander Stürmer zu tun haben könnte und vielleicht deswegen ermordet wurde. Du hast in dem Fall recherchiert und weitere Fakten aufgedeckt, Edda.“
„So ist es, Rouven. Radio Waldenthal hat exklusiv erfahren, dass Martin Rothaar vor rund zwanzig Jahren schon einmal in einen spektakulären Kunstraub verwickelt war. Damals wurden aus dem Heimatmuseum mehrere Gemälde des berühmten Malers Johannes Hofstetter gestohlen. Rothaar arbeitete damals bei einem privaten Wachdienst. Er hatte zur Tatzeit Dienst im Museum und soll den Tätern die Tür geöffnet haben. Allerdings konnte ihm nie etwas nachgewiesen werden.“
„Was sagt die Polizei dazu?“
„Nichts, und das ist sehr merkwürdig. In der Pressekonferenz am Montag fiel kein Wort zum Raub der Hofstetter-Bilder. Ich habe gestern beim Pressesprecher der Polizei nachgefragt, der mir aber nur bestätig hat, was ich sowieso schon wusste.“
„Kann der Mord an diesem
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