Eine Frage der Zeit
Holz, indirekte Beleuchtung und flauschige Teppiche. Sie schlenderte zurück zum Eingangsbereich und spähte neugierig in die angrenzenden Flure und in die Behandlungsräume. Überall hingen moderne Gemälde unterschiedlicher Künstler an den Wänden. Dezente Aufkleber wiesen sie als Leihgabe einer Galerie aus Saarbrücken aus. Unter dem Namen des Kunsthauses standen dessen Preisvorstellungen, die erkennen ließen, dass Dr. Volkmer offenbar überwiegend gutbetuchte Privatpatienten behandelte.
Als die Journalistin sich umdrehte, um zur Empfangstheke zurückzukehren, wäre sie fast mit der Zahnärztin zusammengestoßen. „Frau Marcks, nehme ich an“, sagte Elke Volkmer kühl. Die beiden Frauen gaben sich die Hand. „Wenn Sie mir bitte folgen möchten.“
Kurz darauf saßen sie sich im Wartezimmer gegenüber. Dr. Volkmer war Mitte vierzig und sehr schlank, fast schon hager. Sie machte einen durchtrainierten Eindruck. Ihr blondes Haar, trug sie sportlich kurz. Eine teure Uhr und edler Schmuck deuteten darauf hin, dass sie ähnlich gut situiert war wie ihre Patienten. „Was kann ich für Sie tun, Frau Marcks?“
„Vielen Dank, dass Sie Zeit für mich haben, obwohl ich meinen Besuch nicht vorher ankündigen konnte“, versuchte die Journalistin, das Eis zu brechen. Ihr Gegenüber zeigte keine Reaktion. Nun gut, dann kommen wir eben gleich zur Sache, dachte sich Katja. „Der Morgenkurier recherchiert im Mordfall Alexander Stürmer. Ich nehme an, Sie erinnern sich.“
„Natürlich. Dank meiner Röntgenaufnahmen ist die Leiche ja letztlich identifiziert worden, nicht wahr? Das muss vor mehr als zwei Jahren gewesen sein.“
„Ziemlich genau vor drei Jahren. Bestimmte Umstände an der Auffindesituation der Leiche haben bei uns Zweifel aufkommen lassen, dass es sich dabei tatsächlich um Alexander Stürmer handelt.“
Elke Volkmer runzelte die Stirn: „Welche Umstände sollen das sein?“
„Dazu kann ich jetzt keine genauen Angaben machen“, wich Katja aus.
„Das ist absolut lächerlich“, empörte sich die Zahnärztin. „Hören Sie, Frau Marcks, an der Identität des Toten gibt es überhaupt keinen Zweifel. Alexander Stürmer war mein Patient. Er war erst kurz vor seinem plötzlichen Verschwinden hier in der Praxis und wurde geröntgt. Die Rechtsmedizin hat ihn aufgrund meiner Aufnahmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit identifiziert. Ich weiß nicht, auf welche 'Umstände', die das angeblich in Zweifel ziehen, Sie sich beziehen. Aber der Morgenkurier ist ja ohnehin nicht für seine grandiose Rechercheleistung bekannt, nicht wahr?“
„Finden Sie?“
„Allerdings. Mir ist schleierhaft, wie man täglich dieses grässliche Provinzblatt lesen kann. Und ich frage mich, wie mein guter Freund Dieter Kreutzer sich dafür hergeben kann, für so eine zweitklassige Zeitung zu arbeiten. Jemand mit seinen Fähigkeiten könnte ohne weiteres bei einem kompetenteren Blatt unterkommen.“
Katja verstand den Wink, ließ sich jedoch nicht einschüchtern. „Wie gut kannten Sie den Toten eigentlich?“
Dr. Volkmer sah auf ihre Uhr. „Nicht sehr gut. Er war mein Patient und kam zweimal im Jahr zur Routineuntersuchung vorbei. Außerdem waren wir im gleichen Oldtimerverein. Nachdem er seinen Straßenkreuzer verkauft hatte, erschien er aber nicht mehr zu unseren Clubabenden.“
„Sie fahren auch einen Klassiker?“
„Ja, einen Barockengel . Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen. Ich muss mich auf einen Patienten vorbereiten, der in zehn Minuten hier sein wird.“
Die Zahnärztin brachte Katja zur Rezeption: „Wenn Sie weitere Fragen haben, vereinbaren Sie bitte einen Termin. Oder noch besser: rufen Sie an.“ Dann verschwand sie mit wehendem Kittel in einem der Behandlungsräume. Das ganze Gespräch hatte keine drei Minuten gedauert. Die Sprechstundenhilfe am Empfang sah ihr unglücklich nach. Katja bemerkte ihre verheulten Augen.
„Sie hat Ihnen wohl Vorwürfe gemacht, weil Sie mich eingelassen haben?“ fragte sie mitfühlend. Das Mädchen nickte: „Wir sollen die Tür nicht einfach mit dem Summer aufdrücken, sondern erst fragen, wer draußen ist. Manchmal kommen Kassenpatienten vorbei, die Frau Doktor nicht behandeln will.“
Oder lästige Journalistinnen, dachte Katja. „Mit Kassenpatienten kann man sicher nicht so eine schöne Praxis finanzieren. In diesem Ambiente kommen die wunderbaren Gemälde besonders gut zur Geltung.“
„Die Bilder sind nur geliehen“, antwortete das
Weitere Kostenlose Bücher