Eine Frage der Zeit
mich unersetzlich.“
Velten schluckte. Susanne verstand es immer wieder meisterhaft, die professionelle Distanz zwischen ihnen durch einen einzigen Satz zunichte zu machen.
„Bist du hier, um eine Anzeige gegen Fleischmann zu erstatten? Dafür sind eigentlich die Kollegen im Erdgeschoss zuständig.“
Er verneinte und legte das Foto von Stürmer, das ihn beim Restaurieren des Landgrafengemäldes zeigte, und die Auflistung der bei der Leiche aus dem Pfälzerwald gefundenen Gegenstände auf den Besprechungstisch. „Marcks und mir sind ein paar Unstimmigkeiten aufgefallen, die du dir ansehen solltest.“
Sie setzten sich und Velten erläuterte seiner Ex-Frau detailliert, wieso der Tote im Wald möglicherweise nicht Stürmer war. Die Kriminalpolizistin hörte aufmerksam zu. Dann betrachtete sie sehr genau das Foto: „Das ist wirklich verblüffend.“
„Ist es möglich, dass die Polizisten, die damals die Auflistung von Stürmers Habseligkeiten angefertigt haben, aus Versehen die rechte und linke Jackentasche verwechselten?“, fragte Velten.
„Ich kann das nicht völlig ausschließen. Menschen machen Fehler. Aber es gibt vielleicht eine Möglichkeit, das zu überprüfen.“ Susanne ging an den Aktenschrank und zog einen Ordner heraus. Sie schlug ihn auf und blätterte darin herum. „Hier haben wir die Fotos vom Fundort der Leiche. Lass uns nachsehen, ob wir darin etwas finden.“
Beide beugten sich über den Ordner. Sie hatte ihm gestern schon gesagt, dass die Fotos kein appetitlicher Anblick seien, und sie hatte nicht übertrieben. Sie zeigten die fast vollständig skelettierte und völlig unkenntliche Leiche eines Menschen, der halb unter Ästen und Gestrüpp verborgen auf dem Waldbogen lag. Er hätte nicht einmal sagen können, ob es sich um den Körper eines Mannes oder einer Frau handelte. Der Tote lag mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Rücken. Die Großaufnahmen des Kopfes zeigten klaffende Löcher auf der Oberseite des Schädels.
„Mein Gott, der Mörder wollte wohl nichts dem Zufall überlassen.“
Susanne nickte: „Der Täter hat das Opfer vermutlich von hinten ohnmächtig geschlagen, sich dann breitbeinig über den Bewusstlosen gestellt und ihm mit einem Knüppel oder etwas ähnlichem den Schädel zertrümmert. Das wäre eine Erklärung für die schweren Verletzungen am hinteren und oberen Schädeldach. Danach hat er den Toten aus Gründen, die wir noch nicht kennen, auf den Rücken gedreht.“
„Vielleicht um ihm die Brieftasche und die anderen Gegenstände aus dem Besitz von Stürmer in die Taschen stecken zu können“, vermutete Velten.
„Vorausgesetzt, der Tote ist tatsächlich nicht Stürmer“, sagte Susanne. „Hier haben wir Fotos des Oberkörpers. Mit etwas Glück entdecken wir einen Hinweis. Sie wurden tatsächlich fündig. Auf mehreren Abbildungen war die Jacke des Toten zu sehen. Die rechte Seite war umgeschlagen, so dass das Futter zu erkennen war. Aus der Innentasche ragte deutlich erkennbar der obere Teil des knallroten Plastikkugelschreibers heraus.
„Bingo!“, sagte Velten und schlug mit der Hand auf den Tisch.
„Mach mal halblang, es kann viele Gründe dafür geben, warum der Kugelschreiber dort steckt“, dämpfte Susanne seine Euphorie. „Vielleicht trug Stürmer die Jacke über dem Arm oder sie hing über einem Stuhl, als er den Kuli in die Tasche steckte. Dann könnte er den Schreiber mit der rechten Hand sowohl in die rechte als auch linke Jackentasche getan haben.“
„Da ist natürlich möglich“, musste Velten zugeben.
„Es wird eine ähnlich plausible Erklärung dafür geben, warum sich Autoschlüssel und Geldbeutel in den linken Hosentaschen befanden. Außerdem ist da ja immer noch die Übereinstimmung der Röntgenfotos der Zähne des Toten mit denen aus der Krankenakte von Stürmers Zahnärztin.“
„Und es gibt keinen Zweifel daran, dass dabei alles mit rechten Dingen zugegangen ist?“, fragte Velten vorsichtig. „Vielleicht waren sich die ermittelnden Beamten in Bezug auf die Identität des Toten so sicher, dass der Vergleich der Röntgenaufnahmen zwar erwogen aber tatsächlich gar nicht vorgenommen wurde.“
Susanne sah ihn zweifelnd an: „Du hast ja keine sehr hohe Meinung von unserer Arbeit.“
„Menschen machen Fehler“, zitierte er sie.
„Schon gut, auch das lässt sich nachprüfen. Die Akten mit den Befunden der Rechtsmedizin habe ich hier.“ Sie zog einen weiteren Ordner aus dem Schrank. Nach kurzem Suchen hatte sie
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