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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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der sich jeder um den anderen kümmerte. Sixtus, der Älteste, war so etwas wie ein Vaterersatz für seine jüngeren Brüder gewesen. Tom wusste, dass alle seine Kelly-Cousins seinen Sohn mit offenen Armen empfangen und ihn liebend gerne durch das Leben in Dublin geleitet hätten, in jeder erdenklichen Weise.
    Tom hatte sich geschworen, Bernie niemals die Schuld zu geben. Es war ihr nicht gelungen, über den eigenen Schatten zu springen. Sie konnte ihn nicht heiraten, konnte keine Familie gründen. Ihre Berufung hatte sich als zu stark erwiesen. Sie war von der Muttergottes selbst an sie ergangen, in der Blauen Grotte von Star of the Sea. Immer, wenn er dort arbeitete, lose Steine ersetzte oder das Moos vom Mauerwerk entfernte, war er ernsthaft versucht, die Grotte zuzumauern.
    Denn das war der Ort, an dem Bernies »Wunder« geschehen war. Er hatte sich lange seine eigenen Gedanken über die Ereignisse in der Steinkammer am südwestlichen Zipfel des Academy-Landes gemacht, auf der anderen Seite des Hügels und hinter dem Weinberg, zwischen Kapelle und Strand. Sein irisch-katholisches Erbe war noch stark genug, um zu glauben, dass Bernie tatsächlich eine Erscheinung gehabt hatte, aber er deutete die Botschaft anders.
    Als er nun durch Dublin fuhr, klopfte sein Herz. Er hatte sie nie so erlebt, die Stimme zitternd und angsterfüllt. Irgendetwas Schreckliches musste bei dem Gespräch mit der Werwolf-Nonne geschehen sein, denn Bernie war außerstande gewesen, am Telefon darüber zu reden.
    Tom kannte Bernie nur als einen Menschen, der stark war wie ein Fels in der Brandung. Sie leitete Star of the Sea mit eiserner Hand. Sie war fürsorglich und gutherzig, aber wenn man sich ihr widersetzte, war Gefahr in Verzug. Sie arbeitete unermüdlich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, führte das Kloster wie ein hochkarätiger Konzernchef. Schwester Bernadette Ignatius war ein Workaholic erster Güte und hatte Möglichkeiten gefunden, ihre Gefühle zu verbergen, sie so tief in sich zu vergraben, dass er sich bisweilen fragte, ob sie überhaupt noch welche besaß.
    Als er jetzt auf den Parkplatz fuhr, händigte er dem Parkplatzwächter den Autoschlüssel aus und ließ sich von ihm den Weg erklären. Er ging durch den Haupteingang des Trinity College in Richtung Kampanile, der sich auf dem zentralen Platz befand. Er blickte sich suchend um, konnte sie aber nirgends entdecken. Erinnerungen überfluteten ihn. Bernie hatte ihn während ihrer Schwangerschaft hierhergelotst. Sie hatten den Long Room in der Alten Bibliothek besichtigt – der seinen Urgroßvater zum Bau der Bibliothek im Star of the Sea inspiriert hatte –, und Tom hatte sich ausgemalt, dass ihr Sohn hier irgendwann studieren würde.
    Plötzlich entdeckte er sie. Schmal und dunkel in ihrem schwarzen Habit, wartete sie hinter dem hohen Glockenturm auf ihn. Sie betrachtete die Skulptur von Henry Moore; der glatte Stein stellte zwei Menschen dar, die sich umarmten. Die Linien waren weich und rund, die Körper schienen miteinander zu verschmelzen. Er blieb stehen und fragte sich, welche Botschaft darin enthalten sein mochte. Als er seinen Herzschlag wieder unter Kontrolle hatte, setzte er seinen Weg fort.
    Bernie hörte ihn nicht kommen. Er ließ sich Zeit, betrachtete sie. Annähernd einen Meter sechzig groß, gertenschlank, aber dennoch geballte Kraft. Selbst in ihrem schwarzen Habit und Schleier machte sie gewöhnlich den Eindruck, als wäre sie gerüstet, der Welt die Stirn zu bieten, ein Faktor zu sein, mit dem es zu rechnen galt. Doch nicht heute. Ihre Schultern bebten, ihre Wangen waren tränenüberströmt.
    »Schwester Bernadette.«
    Sie sah ihn mit großen, kummervollen Augen an. »Wir können abreisen.«
    »Was redest du da?«
    »Lass uns heimfliegen, Tom. Zurück nach Connecticut.«
    »Herrgott, Bernie«, erwiderte er, einer Panik nahe. Hatte sie ihre Meinung so schnell geändert? Er dachte nicht daran, das gemeinsame Vorhaben aufzugeben, hatte es seit dem Tag im Sinn gehabt, als sie Dublin verlassen hatten. Sein Körper verlangte danach, den aufgestauten Gefühlen und der Energie, die er all die Jahre in Schach gehalten hatte, endlich freien Lauf zu lassen. »Wir sind aus einem bestimmten Grund hier, und wir kehren erst dann nach Hause zurück, wenn wir ihn gefunden haben. Es ist mir egal, was du sagst, Bernie. Ich werde nicht zulassen, dass du kneifst, einen Rückzieher machst. Wir bringen es zu Ende. Wir suchen ihn.«
    »Das ist unmöglich!« Ihre Stimme

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