Eine Frage des Herzens
Amerikanerin wäre und auch nur die Hälfte der Privilegien besäße wie du?, hätte sie am liebsten geantwortet, doch sich wohlweislich zurückgehalten. Sie hatte nur aufgehört, Salatblätter zu zerrupfen, und nach einem Messer gegriffen, um Tomaten für den Salat zu schneiden.
»Zwei Arten von Mädchen machen mich an.« Er rückte näher. »Mädchen mit dunklem Teint und Mädchen mit irischem Akzent.«
»Von beiden findet man in Newport nicht viele.«
»Es sei denn, man weiß, wo man suchen muss.«
»Zum Beispiel in der Küche?«
»Sie sind ganz schön kess.« Er tätschelte ihren Po, und sie fuhr herum.
Sie richtete das Messer auf ihn, von dem noch der Tomatensaft tropfte. »Machen Sie das nie wieder!«
»Oder was? Erstechen Sie mich dann? Sollte ich Angst haben?« Ein begehrlicher Ausdruck huschte über sein Gesicht und verlieh seinen kalten, grünen Augen einen Hauch Wärme. Sein Mund verzog sich langsam zu einem Lächeln, und sie legte das Messer beiseite.
»Fassen Sie mich nie wieder an!«
»Wenn ich dich das nächste Mal anfasse, dann nur, weil du darum bettelst.« Er warf ihr die Worte über die Schulter zu, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, sie anzuschauen. »Irgendwann«, hörte sie ihn murmeln.
Kathleen hasste ihn wegen seiner Überheblichkeit, aber noch mehr verachtete sie sich selbst. Seine harte Stimme und seine kalten Augen blieben nicht ohne Wirkung, und sie ertappte sich insgeheim bei dem Wunsch, er möge zurückkommen.
Sein Vater fuhr sie jeden Montagmorgen in seinem Rolls-Royce Silver Cloud ins Almac’s, den Supermarkt. Die Luxuslimousine hatte rote Ledersitze, und sie saß vorne, neben Mr. Wells. In ihrer weißen Tracht betrat sie den Supermarkt. Manchmal schob Mr. Wells den Einkaufswagen für sie.
Kathleen hätte ihn gerne nach Louise gefragt. Wo lebte sie? Doch sie war in einer Welt aufgewachsen, in der Eltern ihre Kinder in Heime wie das St. Augustine’s verbannten; sie hätte nur nie gedacht, dass so etwas auch in Kreisen üblich war, in denen die Wells verkehrten. Wenn solche Eltern ihre Kinder loswerden wollten, überließen sie sie der Obhut von Bediensteten. Wie auch immer, Kathleen und Mr. Wells sprachen während der Einkaufsfahrten kein Wort miteinander – kein einziges Wort.
Er war schwergewichtig und weißhaarig – wesentlich älter als seine Frau, die sich zu dieser Zeit am Strand aufhielt. Kathleen wusste, dass Mrs. Wells glaubte, Bobby, der Chauffeur, würde sie zum Supermarkt fahren, nachdem er die Familie am Ocean Drive abgesetzt hatte. Kathleen hatte keine Ahnung, was zwischen den Wells vorging, warum es Mr. Wells Spaß machte, den Einkaufswagen zu schieben, und Mrs. Wells ihn nie bat, sie an den Strand zu begleiten.
Wenn sie nach ihrer Rückkehr die Lebensmittel einräumte, stand Mr. Wells reglos und stumm in der Küche. Er starrte ihre Brüste an, genau wie Pierce. Doch Mr. Wells’ Blick war traurig und hoffnungslos. Er machte sie nervös, aber sie empfand Mitleid mit ihm. Sie wusste, wie es war, wenn man sich nach etwas sehnte, was man nicht haben konnte. Sie wünschte, es gäbe einen Menschen, dem sie sich anvertrauen könnte, doch Beth war ihr fremd geblieben. Miss Langley war Engländerin und misstraute Kathleen aufgrund ihrer irischen Herkunft. Und Samantha war einfach zu jung.
Eines Tages bestrafte Miss Langley den siebenjährigen Jackie, weil er sich am Bailey’s Beach ungebührlich betragen hatte – er hatte der Enkelin von Jean Trevor, Grande Dame der gehobenen Gesellschaft von Newport, die Zunge rausgestreckt.
Miss Langley erteilte Jackie Hausarrest; er musste den ganzen Tag in der Küche bei Kathleen verbringen. Kathleen beobachtete den kleinen zerbrechlichen blonden Jungen, der unruhig auf dem Hocker am Küchentresen herumrutschte, Bilder ausmalte und sich bemühte, nicht in Tränen auszubrechen. Sie versuchte, sich mit ihm zu unterhalten, bat ihn, ihr ein Lied vorzusingen, doch er sagte, Miss Langley habe ihm jeden Spaß verboten.
»Aber du bist ein kleiner Junge. In deinem Alter sollte man Spaß haben.«
»Sie hat gesagt, das sei verboten.«
»Du brauchst Freunde«, meinte Kathleen, »die solche Despoten verstehen.«
»Wen?«
»Menschen, die dich herumkommandieren und dir sagen, dass du keinen Spaß haben darfst.«
»Was meinst du damit?«
»Dass du immer Spaß haben kannst, Jackie.« Sie dachte an die gute alte Zeit in St. Augustine’s zurück. »Immer dann, wenn du willst. Das kann dir niemand nehmen.«
»Aber
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