Eine Frage des Herzens
weißt du, dass du dich damit von der Erscheinung in Connecticut lossagst. Du hast die Wahl – entweder gibst du deinen Zweifeln nach oder folgst deiner Berufung.«
»Ich will mein Baby.« Bernie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.
»Eine Berufung ist eine Gabe Gottes.«
»Ein Kind ist eine Gabe Gottes!«, schrie Bernie auf, sprang aus dem Bett und entriss ihren Sohn Schwester Eleanor Maries Armen, wobei sie versehentlich mit den Nägeln über die Hand der Nonne kratzte.
»Schwester!«, rief Schwester Eleanor Marie und eilte zur Tür. »Schwester!«
Bernie kauerte sich hin und schützte ihren Sohn mit dem ganzen Körper. Er hatte zu weinen begonnen, genau wie sie. Tränenüberströmt barg sie ihr Gesicht an seinem Gesicht. Als sie Schritte vernahm, duckte sie sich und drückte ihn noch fester an sich.
»Sie ist völlig hysterisch!«, rief Schwester Eleanor Marie. »Schauen Sie, was sie getan hat!«
»Oh, Sie bluten ja«, sagte die Krankenschwester, die das Zimmer betreten hatte.
»Ihn hat sie auch gekratzt.«
Bernie schreckte hoch. Sie musterte das Gesicht ihres Sohnes – o Gott, es stimmte. Als sie ihn Eleanor Marie entrissen hatte, hatte sie mit den Nägeln seine Wange gestreift. Es war nur ein kleiner Kratzer, aber ein paar Blutstropfen hafteten daran. Er schrie nun, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie ihn verletzt hatte.
»Es tut mir so leid«, flüsterte sie. »Thomas, mein Schatz, das wollte ich nicht.«
»Natürlich nicht«, sagte die Schwester und ging neben den beiden in die Hocke.
»Ich liebe dich, Thomas«, flüsterte Bernie, als wären die Schwester und Eleanor Marie nicht vorhanden. »Mehr, als ich jemals einen Menschen geliebt habe.«
»Geben Sie ihn mir«, sagte die Schwester freundlich. »Ich versorge nur kurz die Kratzwunde, dann bringe ich ihn zurück.«
»Ich muss ihn füttern.«
»Natürlich. Gleich …«
Die Schwester hatte Thomas weggebracht. Bernie war in ihr Bett zurückgekehrt und hatte sich die Augen aus dem Kopf geweint. Schwester Eleanor Marie hatte den Raum verlassen. Bernie hoffte, sie nie wiederzusehen.
Als man ihr Thomas zurückbrachte, hatten sie ihn bereits gefüttert. Sie hatten ihm die Flasche gegeben. Er war friedlich, schläfrig. Der Kratzer auf seiner Wange war klein, aber rot und aufgequollen. Bernie hielt ihn in den Armen, bemüht, ihrem Zorn auf die Schwestern Herr zu werden, die ihn gefüttert hatten. Sie spürte, dass sie kochte vor Wut – auf die Krankenschwestern, auf Schwester Eleanor Marie, sogar auf die Jungfrau Maria.
Wie hatte sie in eine solche Lage geraten können? Warum war sie überhaupt in die Blaue Grotte gegangen? Doch wenn sie es nicht getan hätte, hätte sie keine Vision gehabt. Maria war unendlich liebevoll gewesen – sie hatte ihre Tränen getrocknet, die sie vergossen hatte, weil sie sich innerlich zerrissen fühlte, weil sie einerseits Tom liebte und andererseits das Bedürfnis verspürte, ein gottgeweihtes Leben zu führen.
Die Muttergottes schien von innen zu leuchten. Ihr blaues Gewand glich gesponnenem Silber, das im Dämmerlicht der Grotte schimmerte. Als sie Bernies Gesicht berührte, waren die Tränen auf Anhieb getrocknet. Bei den Worten, die sie ihr ins Ohr flüsterte, klopfte ihr Herz zum Zerspringen.
»Liebe meinen Sohn«, hatte sie gesagt.
Natürlich hatte sie sich auf Jesus bezogen …
Selbst im Krankenhaus, als sie ihr schlafendes Baby im Arm hielt, hatte Bernie tief in ihrem Inneren gewusst, was damit gemeint war. Maria hatte sie aufgefordert, Jesus zu lieben, Ihm zu dienen. Der Gemeindepriester, dem sie sich anvertraut hatte, und der Ermittler des Vatikans hatten von einer unmittelbaren Berufung gesprochen, die nicht klarer sein konnte. Es sei ihr bestimmt, Nonne zu werden.
Doch sie hatte Tom bereits versprochen, ihn auf seiner Reise zu begleiten – bevor sie in den Orden eintrat, sich hinter Klostermauern zurückzog, hatte sie ihrem Freund aus Kindertagen versprochen, den Spuren der Familien Sullivan und Kelly zu folgen. Sie waren nach Irland gereist, nach Dublin – und hatten sich Hals über Kopf ineinander verliebt. Bernie wusste, dass zwischen ihnen schon immer eine tiefe Zuneigung bestanden hatte, doch seit der Ankunft in Irland hatten sich die Gefühle gewandelt. Es war, als wären sie, weit von zu Hause entfernt, gemeinsam und doch auf unterschiedliche Weise mit einem Schlag erwachsen geworden.
Der Kelly-Clan hatte sie in Dublin mit Beschlag belegt, weshalb sie sich eine Woche
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