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Eine Frau - Ein Bus

Titel: Eine Frau - Ein Bus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doreen Orion
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Tim derjenige, der neue Bekanntschaften schloss. Schließlich ging er jeden Morgen mit Miles Gassi, und fünfundzwanzig Kilo schwere Großpudel bieten eine erstklassige Gelegenheit, ein Gespräch anzufangen.
    »Was für ein Hund ist denn das?«
    »Ein Pudel.«
    » Das ist ein Pudel?«
    Wann immer ich mich vor die Tür wagte, stellte Tim mich jemandem vor, den er bereits kennen gelernt hatte. Mir fiel auf, dass er mich stets als Doreen Orion vorstellte, um hervorzuheben, dass ich nicht denselben Nachnamen trug wie er, Justice, und mir wurde bewusst, dass er es aus Hochachtung gegenüber meinem vermeintlichen feministischen Feingefühl tat.
    »Schatz, weißt du eigentlich, wieso ich meinen Nachnamen bei der Hochzeit nicht geändert habe?«, fragte ich ihn. Er dachte einen Moment lang darüber nach. »Nein. Ich glaube nicht.«
    »Ich fand es einfach extrem lästig, meinen Namen überall, auf dem Führerschein, meiner Sozialversicherungskarte und all meinen Diplomen zu ändern. Ich bin durchaus damit einverstanden, wenn die Leute glauben, ich sei Doreen Justice.«
    »Das hätte ich wissen müssen«, lachte er.
    Natürlich gab es Anlässe, bei denen er bedauerte, mich überhaupt vorgestellt zu haben. Beispielsweise wenn wir lange genug irgendwo herumstanden, bis die unvermeidliche Fragerunde »Was machen Sie so beruflich?« kam. Wenn Leute mitbekommen, dass wir Psychiater sind, ist es immer wieder erstaunlich, dass sie mit derselben Frage ankommen
und auch noch glauben, niemand hätte sie uns je vorher gestellt.
    »Also haben Sie mich die ganze Zeit analysiert?« An diesem Punkt beginnt Tim sich zu winden und würde sich am liebsten aus dem Staub machen, weil er genau weiß, was gleich kommen wird.
    »Wieso?«, frage ich zuckersüß. »Wenn ich Proktologe wäre, würde ich dann wohl in Ihren Hintern gucken wollen, was meinen Sie?«
     
    Während unserer Fahrt durch Neuengland wurde uns bewusst, dass wir nicht die Einzigen waren, die die bisherige Reise verändert hatte. Shula sich Eier entwickelt - Mortys, um genau zu sein. Nun war sie diejenige, die knurrte und spuckte, wenn er ihr zu nahe kam. Inzwischen hatte sie ihren beiden Brüdern sogar den einen oder anderen Pfotenhieb verpasst. Während ich der Überzeugung war, dass es das unstete Leben war, das sie so reizbar machte (für Shula war das Leben im Bus so, als würde sie unablässig in einem riesigen Katzentransporter sitzen und zum Tierarzt gebracht werden), ging Tim davon aus, dass sie schlicht und ergreifend eine neue Erkenntnis gewonnen hatte, die ihr Kraft verlieh: Wenn sie das hier überstand, würde sie alles überstehen. In unserer Funktion als Psychiater gelangten wir selbstverständlich zu dem Schluss, dass wir unsere Empfindungen im Hinblick auf meine Bus-Phobie durch sie ausdrückten.
    Und wieso auch nicht? Der gutmütige, stets zu allem bereite Miles schlug seinem Vater nach. Der missmutige Morty mit dem Gemüt eines alten Juden war eindeutig mein Sohn. Kein Wunder blieb Shula stets außen vor. Vielleicht bewog sie die Erkenntnis, dass sie doch eine Gemeinsamkeit
mit einem ihrer Elternteile - nämlich mit mir - besaß, aus ihrem Schneckenhaus herauszukommen. Zu schade, dass sie sich den falschen Elternteil dafür ausgesucht hatte.
    Statt sich mit Shulas Ausbrüchen auseinanderzusetzen, ließ Morty sie einfach stehen. Vielleicht wurde er allmählich weich, so wie sein Vater. Und was Miles betraf - er glaubte noch immer, die Welt bestünde nur, um ihn mit Liebe und Zuwendung zu überschütten: ein Schluss, der durch unsere Reise nur noch verstärkt wurde.

Kapitel Sechs
    Ab in den Süden
    Feuer unterm Dach
    2½ Teile Bacardi 75%
1½ Teile Orange Curaçao
Frisch gepresster Limonensaft
     
    Angezündetes Streichholz in der einen Hand halten, den Shaker in der anderen. Zusammenbringen und warten, bis die Haare Feuer fangen. Dafür sorgen, dass beim nächsten Mal nur 40%iger Rum zum Einsatz kommt.
    M itte Oktober fuhren wir nach Queens, wo meine Eltern wohnen. Da es dort keine Parkmöglichkeit gibt, mussten wir den Bus in einer Garage in New Jersey stehen lassen. Wir sammelten unsere Tiere und ein paar Habseligkeiten ein und machten uns auf, um das Gästezimmer der Orions mit Beschlag zu belegen.
    Tim hatte eine Menge zu lernen gehabt, als er in eine jüdische Familie einheiratete, und seine Erziehung fing mit dem Tag unserer Hochzeit an. Unsere Trauung verlief teilweise nach jüdischen Traditionen, und ich glaube nicht, dass ihm richtig klar war, worauf er

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