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Eine Frau - Ein Bus

Titel: Eine Frau - Ein Bus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doreen Orion
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kamen wir wenig später zu Besuch, und mein Vater vertraute Tim an, was vorgefallen war. »Sag bloß meiner Frau oder meiner Tochter nichts davon«, bat er Tim, da er befürchtete, wir könnten ihn zwingen, die Werkstatt zu kündigen. Beim nächsten Besuch, nachdem mein Vater die Tischlerei mittlerweile aufgegeben hatte, kam die Sprache auf die Kriminalität in der Stadt. »Ich bin auch mal überfallen worden«, gestand er und erzählte uns die Geschichte. »Wieso hast du nichts gesagt?«, wollte meine Mutter wissen und bedachte ihn mit einem Blick, den jüdische Ehefrauen perfektioniert haben, seit Zippora sich Moses zur Brust nahm. »Wie bitte? All dieses Wandern wegen gerade einmal neun Geboten?« (Offenbar zeigte ihr Genörgel Wirkung.) Mein Vater zuckte
nur die Achseln und zog sich damit aus jeder Verantwortung.
    »Tim hat davon gewusst«, erklärte er. Nun war Tim derjenige, der sich dem Zorn der beiden Orion-Frauen ausgesetzt sah.
    »Wieso hast du uns nichts davon erzählt?«, löcherten wir ihn. »Henry hat gesagt, ich soll keinem etwas verraten«, brachte er zu seiner Verteidigung vor, womit er die Grube, die mein Vater ihm gegraben hatte, nur noch weiter ausschaufelte.
    In der Gewissheit, dass mein Ehemann in punkto Informationen so dicht hielt wie ein Sieb, richteten wir uns auf einen mehrwöchigen Besuch bei meinen Eltern ein. So sehr Tim New York City liebt, liebt sein Alter Ego das Apartment meiner Eltern in Queens noch viel mehr. Dort gibt es so viele wunderbare Allround-Freak-Aufgaben, und während meine Mutter eine ganze Liste an zu erledigenden Aufgaben hat, besteht mein Vater darauf, seinen Ruhestand im wortwörtlichen Sinne zu praktizieren. Wann immer wir zu Besuch kommen, stellt meine Mutter folglich eine Liste für Tim zusammen, der jedes Mal Mittel und Wege findet, sie ein wenig zu erweitern.
    Diesmal bat meine Mutter Tim, ein paar Möbel im Wohnzimmer umzuräumen und eine Fliese in der Dusche neu zu verfugen. Stattdessen ging Tim mit ihr neue Möbel kaufen, verfugte sämtliche Fliesen in Dusche und Badewanne neu, reparierte eine kaputte Toilettenspülung und eine Tür, die sich nicht mehr schließen ließ. Danach machte er sich an eine Liste für unseren nächsten Besuch. Vielleicht liegt es an ihrer Depressionsära-Mentalität, aber während Gertrude sich zwar wünscht, die Dinge ein wenig hübscher zu gestalten, fällt es ihr doch schwer, es in die Tat
umzusetzen. Manchmal braucht sie einen kleinen Schubs, was Tim nur allzu bereitwillig übernimmt. Es freute mich zu sehen, dass Tim mit der Bus-Geschichte endlich anfing, dafür zu sorgen, dass auch er mehr für sich aus dem Leben herausholte.
    Es war völlig in Ordnung, dass Tim meine Mutter beim Möbelkauf unterstützte: Die Behauptung, unser Haus oben in Great Neck, Long Island, wo ich aufgewachsen bin, sei die Lachnummer der Nachbarschaft gewesen, ist in etwa so, als würde man die Kiss-Kostüme als leicht übertrieben bezeichnen. Natürlich könnte man anführen, dass die Band nur ihren eigenen Stil zum Ausdruck brachte. Dasselbe gilt für meine Eltern: Sie haben einen Stil, den ich als Schtedl -Gotik bezeichne. Es waren nicht nur die orangen Resopal-Arbeitsplatten in der Küche (die perfekt zu den orangen Resopal-Verkleidungen an den dunkelbraunen Schränken passten) oder der riesige schwarze Resopal-Tisch mit den noch viel massiveren, auf antik getrimmten roten Stühlen. Antiquiert , so sieht die Einrichtung aus, im Gegensatz zu antik . Sie wissen schon, was ich meine: diese Dinger mit schwarzen bremsspurartigen Streifen, die Klasse andeuten sollen, ohne dass die Gefahr besteht, sie jemals zu besitzen.
    Meine Eltern hatten den einzigartigen Stil ihrer Möbel, die mein Vater aus Sperrholz zusammengezimmert hatte, so perfektioniert, dass sie schon bald dazu übergingen, altbewährte Designs zu adaptieren und zu ihren eigenen zu machen. Vielleicht hatten sie das an dem Tag im Sinn, als sie die schwarzen Fensterläden unseres einst eleganten, mit weißen Säulen ausgestatteten Kolonialstilhauses mit roten, auf alt getrimmten vertikalen Holzstreifen schmückten.
    Die Nachbarn beschwerten sich niemals (zumindest nicht
offen) über die »Verschönerungen« meiner Eltern. Das heißt, bis eines Tages einige herüberkamen, um meinen Vater zu überreden, seinen Rasen zu mähen. Stil (oder der Mangel daran) war eine Sache, doch eine kniehohe Wiese in einem Vorort eine völlig andere. Mein Vater hat immer den »natürlichen Look« propagiert. Doch

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