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Eine Frau - Ein Bus

Titel: Eine Frau - Ein Bus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doreen Orion
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sich heraus, dass Mr. Jones schon bald in Atlantic City auftreten sollte und sie sich bereits eine Eintrittskarte gesichert hatte.
    »Kauf dir sein neuestes Album, Schwester!«, rief sie mir zu. »Du wirst begeistert sein!« Und das tat ich auch. Und das war ich auch.
    Auf dem nächsten Campingplatz in der Nähe von Silver Spring, Maryland, kam es zum einzigen Einparkmissgeschick während des ganzen Jahres. Normalerweise koppelte Tim, wenn er rückwärts einparken musste (statt vorwärts hineinzufahren), den Jeep ab, ich fuhr ihn beiseite und lief dann zurück, um ihn einzuweisen (mit Sicherheitsschuhen an den Füßen). Peter hatte zwar nach unserer Jungfernfahrt am Ende doch noch die Überwachungskamera installiert, doch sie funktionierte natürlich nicht. Dafür hatten meine Signale im Lauf der Zeit an Professionalität gewonnen (okay, zumindest waren sie weniger hektisch), und wir hatten ein System entwickelt, das wir üblicherweise reibungslos über die Bühne brachten. Doch diesmal war es fast dunkel, und keiner von uns bemerkte den kleinen Pfosten,
der einen knappen halben Meter aus dem Boden ragte. Prompt bekam eine der Gepäckfächertüren eine Beule ab.
    Mir fiel es nicht schwer, den Vorfall mit einem Achselzucken abzutun, doch Tim fühlte sich entsetzlich. Vermutlich war es lediglich ein schwerer Schlag gegen sein männliches Ego - immerhin ist dieser Rückwärts-Blödsinn etwas, worin man einem Mann nichts vormacht. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich das volle Ausmaß seiner Blamage nachvollziehen konnte. Tim hatte seine Kindheit in heruntergekommenen, halb verfallenen Häusern zugebracht. Nichts dort war jemals neu, und wann immer etwas kaputtging, mussten seine Eltern eine Möglichkeit finden, es so billig wie möglich zu reparieren, falls eine Reparatur überhaupt möglich war.
    Als er mich das erste Mal mit nach Reno nahm, fuhren wir an einem Parkplatz vorbei. »Dort bin ich aufgewachsen«, sagte er zu mir. In einem halb verfallenen Haus aus dem Jahr 1903, das nie renoviert worden war, hatte Tim gewohnt, bis seine Familie auszog, als er dreizehn war. Beim Auszug nahmen sie sogar den Holzofen mit, da es keine andere Möglichkeit gab, die Wohnung zu beheizen. Ein paar Jahre später zog eine sogar noch ärmere Familie in die Wohnung ein und zimmerte einen behelfsmäßigen Ofen zusammen, um es warm zu haben. In diesem Winter brannte das Haus bis auf die Grundmauern ab, und die Familie verlor drei ihrer Kinder. Tim erinnert sich noch heute an die Scham, die er empfand, als er einem anderen Jungen sein Zuhause zeigte und dieser ungläubig (und mit einem bedauernden Unterton in der Stimme) »Oh Gott, hier bist du aufgewachsen?« sagte.
    Wir blieben vor allem deshalb in Maryland, damit ich ein paar alte E-Mail-Freunde besuchen konnte, die ich
über eine Versicherung, für die ich arbeitete und die dort ihren Sitz hatte, kennen gelernt hatte. Es war eine seltsame Erfahrung, endlich die Gesichter zu den Stimmen zu sehen, die mir so vertraut waren, und ich fragte mich, welchen Eindruck ich selbst wohl bei den Leuten hinterließ. Eine der altgedienten Betreuerinnen, Flo, die mich scheinbar immer dann mit Fragen zu einem aktuellen Fall anrief, wenn ich mit meinem Frühsportprogramm beschäftigt war, zog mich regelmäßig damit auf.
    »Ich habe keine Zeit für Sport! Meine zehn Kinder halten mich zu sehr auf Trab«, lachte sie stets. Als ich in ihr Büro betrat, blieb ich abrupt stehen. Ich hatte Jabba, die Sozialarbeiterin erwartet, dabei war Flo absolut atemberaubend - und gertenschlank.
    »Wie hast du es geschafft, bei zehn Kindern so schlank zu bleiben?«, fragte ich. Sie lachte wieder.
    »Oh, ich habe nur drei. Aber es fühlt sich an, als wären es zehn.« Flos Anblick machte mir bewusst, wie mich andere Menschen, die ich noch nie gesehen hatte, wahrscheinlich sahen. Für sie musste ich wie die typische Eremitin wirken, gekleidet nach der Mode aus jenem Jahrzehnt, in dem ich das letzte Mal Sozialkontakte gepflegt habe. Ein schier unerträglicher Gedanke. Vielleicht sollte ich häufiger rausgehen - oder zumindest behaupten, dass ich es tue.
    Als ich eine andere meiner E-Mail/Telefonfreundinnen kennen lernte, fühlte ich mich augenblicklich hinters Licht geführt: All die Jahre hatte ich keine Ahnung gehabt, dass ich eine wesentlich jüngere Freundin mit Dreadlocks gehabt hatte. Doch wäre ich ihr in einem Coffeeshop in Boulder begegnet, hätte ich wahrscheinlich angenommen, wir hätten ohnehin nichts

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