Eine Frau - Ein Bus
Berglöwen in die Flucht zu schlagen, soll man ihn doch mit einem Stein bewerfen, richtig? Aber man soll sich nicht klein machen - mit anderen Worten, sich bücken und einen Stein aufheben. Erklärt mir das mal, ihr Frischluftfanatiker.)
Ich habe immer angenommen, ich hätte meine Einstellung zur Natur von meinem Vater geerbt. Als Henry das erste Mal den Grand Canyon sah, rief er nur: »Eh. Das ist aber ein großes Loch.« Genau. Du hast es erfasst, Dad.
Myrtle Beach versetzte uns auch durch seine endlose Anzahl an Läden für Bademoden an jeder Straßenecke in Erstaunen. Wie viele Leute kamen auf die Idee, Urlaub am Strand zu machen, vergessen aber, ihre Badesachen mitzubringen? Nahezu jeder, wie es aussah. Und, wie Tim angesichts der beachtlichen Anzahl an Oben-Ohne-Bars bemerkte, gab es auch offensichtlich jede Menge Männer hier, die vergaßen, ihre Frauen mitzubringen.
Und noch über etwas anderes stolpert man an jeder Ecke - über Pfannkuchenrestaurants (die sich nicht ganz so gut mit all den Bikini-Läden in Einklang bringen lassen). Auf einer Strecke von zwei Meilen kamen wir an folgenden wohlklingenden Pfannkuchenparadiesen vorbei: Pancake House; Plantation House of Pancakes; Pan American Pancake and Omelets; IHOP; International Omelets and Pancake House; Denny’s House of Pancakes; Farmhouse; Grandma’s Kitchen; Country Kitchen und Mammy’s Kitchen.
Die Namen der Schwimmbekleidungsgeschäfte waren keinen Deut besser. Auf derselben Zweimeilenstrecke begegneten wir folgenden: One Whales (eindeutig in Besitz von jemandem ohne jeden Geschäftssinn), Five Star Discount Beachwears, Empire USA; zweimal Wings (was für ein alberner Name für etwas, das so offenkundig mit Schwerkraft zu tun hat); ein Eagles; zwei Atlantis Beachwears; vier Pacific Beachwears und zwei Pacific Superstores (die beiden letzten musste jemand mit gutem Orientierungssinn ausgesucht haben); zwei Bargain Beachwears; einem schlichten alten Beachwear und Tims (ebenso wie jedes anderen Mannes) Lieblingsladen mit dem wohlklingenden Namen Tantalizing Twins - Verführung im Doppelpack.
Wir hatten vorgehabt, nur eine Woche in Myrtle Beach zu bleiben, verlängerten aber auf zwei. Wir unternahmen
unsere täglichen (oder auch häufiger) Spaziergänge, gingen Hand in Hand am Strand entlang und hielten abwechselnd Miles’ Leine. Dazwischen stellten wir Stühle am Strand auf und lasen. Während ich selbst leidenschaftliche Leserin war (wann immer ich Zeit dafür fand), hatte ich Tim noch nie mit einem Buch in der Hand gesehen (es sei denn, es handelte sich um eine Betriebsanleitung und dann auch nur heimlich). Ehrlich gesagt hatte ich ihn noch nie … einfach dasitzen gesehen. Aber als ich von meinem Roman aufblickte, gab es keinen Zweifel. Er saß einfach da und blickte auf die Wellen hinaus.
»Worüber denkst du nach?«, fragte ich.
»Über nichts.« Er hätte mir keine perfektere Antwort geben können.
Der Tag, an dem wir beinahe verbrannt waren, lag einige Wochen zurück, und ich spürte, wie meine Vertrautheit mit dem Bus wuchs. Das machte mir Angst. Ein intellektuelles Verständnis zu entwickeln, dass das alte Leben mit all seinem Schnickschnack hinter einem lag, ist eine Sache. Aber es ist eine ganz andere, auch so zu empfinden. Eine Zeitlang kompensierte ich diese Entwicklung damit, dass ich mich noch mehr an die Relikte aus meinem alten Leben klammerte und die »Alles ist ersetzbar«-Philosophie in neue Sphären hob, indem ich mir noch mehr kaufte, was ich ersetzen konnte. So kam ich auf die Idee, dass ein Nachmittag bei Tommy Bahama’s meine Bindung zu allem, was mit Strand zu tun hatte, zweifelsohne noch mehr stärken würde.
Als ich durch die herrliche Einkaufsmeile von Myrtle Beach schlenderte, stellte ich fest, dass ich mich tatsächlich von der maritimen Atmosphäre einfangen ließ, und kaufte tonnenweise Strandkleidung, nicht nur bei Tommy’s, sondern auch in anderen Geschäften. Bei meiner Rückkehr
zum Bus unternahm ich den vergeblichen Versuch, all meine neu erworbenen Schätze in dem mickrigen Ding unterzubringen, das sich Kleiderschrank nannte. Tim war bereits mit Miles losgezogen (nach einem Nachmittag im Einkaufszentrum hatte er den Drang nach ein wenig freier Natur verspürt) und wartete am Strand auf mich. Frustriert setzte ich mich auf den Boden, inmitten all der Einkaufstüten. Ich wäre auch lieber am Strand. Als Nächstes schob sich ein anderer Gedanke in mein Bewusstsein. Und so sehr ich auch versuchte, ihn
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