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Eine Frau - Ein Bus

Titel: Eine Frau - Ein Bus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doreen Orion
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beiseitezuschieben, blieb er doch da. Eigentlich brauche ich gar keine Klamotten, um mich … strandmäßig zu fühlen. Gleich am nächsten Tag bat ich Tim, mich noch einmal ins Einkaufszentrum zu fahren (ich nahm diesen »Überlass das Fahren ihm«-Vorsatz absolut wörtlich, selbst wenn es nur um den Jeep ging), um sämtliche Einkäufe zurückzubringen.
    Ungefähr um diese Zeit wurde Tims neues Alter Ego geboren. Eigentlich sollte es mich nicht überraschen, dass er ein Gentleman ist. Selbst nach all den Jahren bemüht er sich stets, mir die Tür aufzuhalten, er geht grundsätzlich auf der Fahrbahnseite der Straße, fährt stets, wenn wir gemeinsam unterwegs sind (na gut, mag sein, dass das Mr. Sicherheitsfimmels letztes Zipfelchen Selbsterhaltungstrieb ist), und lässt mich nichts tragen. Deshalb bestand er auch hier, in Myrtle Beach, darauf, die beiden Stühle an unseren Platz im Sand zu schleppen. Er besorgte auch das Wasser oder Snacks, die wir bei unseren ausgedehnten Spaziergängen brauchen könnten. Wann immer ich versuchte, etwas mitzunehmen (selbst meine Kamera), nahm er es mir so lange ab, bis ich es brauchte. Eines Tages fand ich ein paar hübsche Muscheln im Sand und beschloss, sie mitzunehmen. Ich trug Kleidung, die keine Taschen hatte. Tims schon.

    »Oh Tim! Sherpa Tim!«, zwitscherte ich. Er musste lachen. Die Wanderschuhe hatte er ja immerhin schon … Als er die Muscheln in seiner Tasche verstaute, gab er mir einen Kuss.
    »Solange ich ein Sherpa mit Sonderbehandlung bin«, sagte er.
     
    Auf dem Campingplatz lernten wir ein anderes Paar kennen. Sie stammten aus Virginia. Der Mann hatte sich halb aus seinem Job als städtischer Busfahrer zurückgezogen, seine Frau arbeitete immer noch in einem Computerlabor einer Highschool und hatte … Bus-Phobie! Sie schwor Stein und Bein, vorher nie daran gelitten zu haben. Es hätte erst vor sechs Wochen mit den ersten Ausfahrten angefangen. Sie schilderte die nur allzu vertrauten Symptome: Wie sie es hasse, ständig alles hinter ihr poltern zu hören. Wie sie die Unterführungen hasse und ständig frage, ob sie auch bestimmt darunter hindurchpassten. Wie sie Kurven in den Ausfahrten hasse und ihren Mann ständig auf die Geschwindigkeitsbegrenzung hinwies. Ihr Ehemann ignorierte sie ebenso wie Tim mich.
    Während die beiden Männer die PS-Stärken verglichen, tauschten wir uns über unsere jeweiligen Strategien aus, wie wir uns mit der Situation arrangierten: Sie hatten Holzjalousien an den Fenstern, und sie sorgte dafür, dass sie stets hochgerollt waren, wenn sie losfuhren, um dieses Klappern zu unterbinden. Ich erklärte ihr meinen Kniff, Socken in die Martini- und Weingläser zu geben, um das Klirren in Grenzen zu halten. (Allerdings verschwieg ich, woher die Socken kamen: Falls mich der Fahrer rechtzeitig vor der Abfahrt warnte, konnte ich sie aus der Schublade im Schlafbereich nehmen, wenn nicht, war ich gezwungen, hinter mich zu
greifen und sie aus dem Schmutzwäschekorb über HAL zu angeln, was dem Begriff »Dirty Martini« eine völlig neue Bedeutung verlieh. Als Nächstes widmeten wir uns der Diskussion über den relativen Horror von Klirren versus Klappern und einigten uns auf ein Unentschieden.
    Ich muss zugeben, ich fühlte mich ein wenig überlegen (ich meine, diese Frau war immerhin mit einem professionellen Busfahrer verheiratet und hatte trotzdem eine Phobie?), bis sie mich aufklärte, dass ihr Sitz ebenso wie meiner keine Armlehnen besaß. Doch sie hatte ihren Ehemann immerhin überredet, ihr einen Griff einzubauen, den sie in ihrer schlimmsten Not umklammern konnte. Wieso bin ich nicht darauf gekommen? Ich musste zugeben, auch wenn ich Miss September war, hatte mich die Bus-Phobikerin des Jahres soeben ausgestochen.
    Immer wieder rissen wir uns für einen Tag vom Strand los, um Ausflüge mit dem Jeep zu unternehmen. Eigentlich waren wir nie sonderlich architekturbegeistert gewesen, hatten aber auch noch nie an einem Ort gelebt, der für seine historischen Wohnhäuser berühmt ist. Viel mehr als die Gebäude selbst genossen wir die Geschichten über die Menschen, die einst dort gelebt hatten.
    Beim Mann-Simons Cottage erfuhren wir, dass Celia Mann, die 1799 als Sklavin geboren worden war, es geschafft hatte, sich ihre Freiheit zu erkaufen, und den ganzen Weg zu Fuß bis nach Columbia gegangen war, um sich dort ein Häuschen zu kaufen und ihren Lebensunterhalt als Hebamme zu verdienen. Ihre Nachkommen lebten noch über hundert Jahre in dem

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