Eine Frau - Ein Bus
irgendeines motorisierten Gefährts zu sitzen. Für mich ist es eine Fahrt in diesem Gefährt erster Klasse auf dem Beifahrersitz. Im Gegensatz zu mir hat Tim Mühe, sich verwöhnen zu lassen. Es hat Jahre gedauert, bis er sich in ein Taxi gesetzt hat. Gefahren zu werden, und
noch dazu jemanden für dieses Privileg zu bezahlen, empfand er stets als verkehrt. Als er aufwuchs, erledigte seine Familie stets alles allein - sie hatten keine andere Wahl. Und in gewisser Weise waren sie stolz darauf. Als Tim über die Mittel verfügte, andere zu engagieren, die bestimmte Dinge für ihn erledigen sollten, betrachtete er es noch immer als Schwäche. Stück für Stück jedoch hat er sich mir angenähert - zumindest in manchen Punkten (als hätte er eine Wahl).
Im Grunde war ich sogar froh darüber, dass Kochen nicht zu diesen Punkten gehörte und Tim es allmählich leid wurde, sich ständig das Essen von anderen Menschen zubereiten zu lassen. Obwohl wir auf unseren Reisen jede Menge Restaurants besucht hatten, schwor Tim nun, da er die Zeit dafür hatte, das Thema Fertiggericht gehöre ein für alle Mal der Vergangenheit an. Als mein Ehemann beschlossen hatte, kochen zu lernen, hatte er sich nicht nur Kochbücher zugelegt, sondern selbstverständlich Bücher über die Wissenschaft des Kochens . Und natürlich zog ich ihn damit auf - bis ich anfing, seine Kreationen zu probieren. Dann hielt ich den Mund. Und zwar ganz schnell. Es war wie gewohnt: Wenn Tim sich etwas vorgenommen hatte, machte er seine Sache gut.
Obwohl er es in vollen Zügen genoss, in unserer tollen, wenn auch winzigen Busküche zu werkeln, war er doch ein typischer Mann und grillte am liebsten im Freien. »Ich Feuer machen« - so seine Standardeinleitung. Ob drinnen oder im Freien - wir wählten stets die passende Musik aus, mixten ein paar Martinis für mich, die ich trank, während ich ihm zusah, und gönnten uns die eine oder andere Pause, um ein Tänzchen hinzulegen. Die gesamte Prozedur der Zubereitung - frische Lebensmittel einkaufen, schnippeln,
sautieren, backen, kochen und braten - statt einfach etwas aus dem Tiefkühlfach zu nehmen und in die Mikrowelle zu stellen, war ein tolles Erlebnis (selbst für mich, die nur zusah). Und nicht nur für unsere Geschmacksknospen, sondern auch für sämtliche sozialen Aspekte, die üblicherweise mit dem Begriff »Mahlzeit« verbunden sind. Ich schätze, vorher war uns gar nicht richtig klar gewesen, was dieses Wort bedeutete. Das vielleicht Verblüffendste war, dass wir auch nicht auf Fertigprodukte als Beilage zurückgreifen mussten, sondern alles selbst machen konnten - vielleicht sogar zwei davon! Absolut fantastisch!
Der Bus hatte auch noch andere positive Auswirkungen auf unsere häusliche Harmonie, da Tim, nachdem er jahrelang vor meiner Schlampigkeit kapituliert hatte, nun endlich in den Genuss einer gewissen Ordnung kam, weil wir gezwungen waren, regelmäßig sauberzumachen. Nicht nur war es bei uns zu Hause nie ordentlich, nein, wir hatten auch vor langer Zeit aufgehört, diesen Zustand anzustreben. Ein halbwegs lebbarer Ordnungszustand war deshalb bereits ein gewaltiger Schritt nach vorn.
Während meiner Praktikumszeit in der Psychiatrie eines Krankenhauses nahm die Oberärztin eines Tages ihre Studentinnen mit auf einen Rundgang durch die Patientenzimmer. Diese Frau konnte allein anhand des Zustands des Lebensraums ihrer Patienten mit untrüglicher Sicherheit Diagnosen stellen. »Das ist das Bett eines Schizophrenen«, stellte sie fest, und wir konnten auf der Stelle erkennen, was sie meinte: Das Bett war von Klamotten und Toilettenartikeln übersät, ja, sogar Lebensmitteln, völlig verheddert und vergraben in den weißen Laken, ein wüstes Durcheinander aus nicht länger erkennbaren Dingen mit eigenen Formen und Umrissen. Ich stellte mir oft vor, wie diese Oberärztin
in der Diele unseres Hauses steht und seufzend den Kopf schüttelt. »Das ist das Haus eines Schizophrenen.«
Ich will nicht sagen, dass ich Freude daran hatte, die Königin der Schlampen zu sein, stattdessen empfand ich Saubermachen eher als völlige Zeitverschwendung, wenn man bedachte, dass die Dinge in Unordnung laut dem Entropiegesetz stets die Neigung haben, von ganz allein zum Zustand der Ordnung zurückzufinden. (Der arme Tim. Er glaubt, dies sei die einzige Erkenntnis, die ich aus meinem Physikkurs mitgenommen habe.) Und es waren nicht nur große Gegenstände, die meiner eigenwilligen thermodynamischen Logik unterworfen
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