Eine Frau - Ein Bus
Zu Hause habe ich immer gespannt auf die Post gewartet. Tim sagt, weil ich praktisch das Leben einer Gefangenen führe, stelle dies eine der wenigen Verbindungen zur Außenwelt dar. Kann sein, aber in diesen Momenten erinnere ich ihn stets daran, dass wir Gefangenen den politisch korrekten Begriff »Einsiedler« vorziehen. Mann!
Jedenfalls wird die Post bei diesem Campingplatz ins dortige Büro geschickt und von dort aus an die Gäste weitergeleitet, die sie aus den mit den Zahlen des Stellplatzes versehenen Postfächern abholen können. Skeptisch wurde ich allerdings, als ich feststellte, dass die Weiterleitung der Post auf diesem Campingplatz reichlich lausig funktionierte. Ich fand mein Päckchen auf dem Fußboden, inmitten der Briefe für die anderen Gäste. Es gab eine Zeit, da wäre ich ausgerastet. Aber der Erhalt meiner Post hatte im Lauf dieses Jahres zunehmend an Reiz verloren, da sie immer spärlicher eintrudelte. Oder vielleicht, aber nur vielleicht, lag es daran, dass ich mich häufiger vor die Tür wagte.
Von Fort Myers aus fuhren wir mit dem Jeep nach Sanibel und Captiva Island. Die Strände dort waren zwar sehr hübsch, aber noch besser gefiel uns der fünf Meilen lange Wildlife-Pfad im J.N. »Ding« Darling National Wildlife Refuge. Er ist Teil des größten unerschlossenen MangrovenÖkosystems der USA und verdankt seinen Namen dem politischen Cartoonisten, der den Verkauf des Landes auf Sanibel Island an Immobilienhaie verhindert hat. Auf Jay Norwood »Ding« Darlings Drängen hin unterzeichnete Präsident Truman 1945 einen Erlass, aus dem Land ein Naturschutzgebiet zu machen. Wir sahen massenweise
Vögel (über 220 verschiedene Arten sind hier heimisch), darunter auch recht seltene (nach der Reaktion einer Besucherin zu schließen, ist der rotschwänzige Falke der Armani-Anzug unter den Fluggeschöpfen) und sogar einen oder zwei Alligatoren.
Wie erwähnt, habe ich nie eine sonderliche Affinität zu Vögeln und ihrer Beobachtung entwickelt (mit Ausnahme von Pelikanen, dafür aber keinesfalls Spatzen). Ich bin sicher, Vogelbeobachter sind sehr nette Menschen - auch diese eine, die ich im Naturschutzgebiet beleidigt habe. Ihr Pech war, dass sie zu mir und Tim herübersah, als wir langsam durch das Dickicht fuhren, das sie gerade eindringlich beobachtete. Als sie die Verblüffung auf meinem Gesicht sah, interpretierte sie sie fälschlicherweise als Interesse und bedachte mich mit einem triumphierenden Blick.
»Gelb … köpfiger … Krabben … Reiher«, sagte sie wie eine Stadtschreierin, die der aufgeregten Menge das Eintreffen der Königin verkündet. Wieso hatte mir keiner gesagt, dass Vogelbeobachtung ein Wettbewerb ist? Könnte ganz nett sein. Aber bis dahin empfand ich es, da ich noch über keinerlei vogelkundliche Kenntnisse verfügte, nur als fair, auf ein Wissensgebiet zurückzugreifen, in dem mich meine neue Herausforderin unter Garantie nicht schlagen würde. Ich hob einen Fuß, so dass sie meinen Schuh durch das Jeep-Fenster sehen konnte und deutete zur Untermalung noch darauf.
»Schwarzer …Chanel … gesteppter … Loafer.« Sie starrte mich mit zusammengekniffenen Augen an, als wir weiterfuhren. Zweifellos grübelte sie über die potenzielle Einsatzfähigkeit ihres kostbaren Krabbenreihers als Abendschuh nach, um es mit dem aufnehmen zu können, was ich mit meinem Chanellium quiltus angestellt hatte.
In Estero, unmittelbar südlich von Fort Myers, wanderten wir durch die üppigen Gärten und verwaisten Gebäude des Koreshan State Historic Site, wo 1894 die Koreshan Unity Movement ins Leben gerufen worden war. Diese religiöse Sekte war von Anfang an dem Untergang geweiht, sowohl aufgrund ihres Anspruchs auf das Zölibat als auch aufgrund ihrer zentralen Lehre: Das gesamte Universum existiere vielmehr innerhalb der Erde statt außerhalb, was bereits von zahllosen vielzelligen Organismen angenommen worden sei. Sie führten sogar Experimente durch, um ihre These zu untermauern und um zu zeigen, dass sich der Horizont über dem nahe gelegenen Strand nach oben wölbte. Die letzten vier Mitglieder übereigneten das Land 1961 dem Staat. Genau das sind die Leute, die das »ott« zu Gott beisteuern.
Nach etwa einer Woche fuhren wir an die andere Küste Floridas und landeten auf dem Markham Park Campground in Sunrise. Alles in allem war es wahrscheinlich unser Lieblingsplatz des ganzen Jahres, da die weitläufige Anlage so viel mehr war als ein schnöder Campingplatz. Selbst die
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