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Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Titel: Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Setzerei und rief von dort aus (ich wollte nicht, daß Fräulein Weber mithörte) Gudrun an. Sie war seit Tagen verstimmt, weil ich auch in meinem Urlaub arbeitete, anstatt mit ihr an die Riviera zu fahren. Um sie aufzuheitern, lud ich sie zu einem Je-ka-mi-Abend ein, den ich in der nächsten Woche für den Tagesanzeiger zu besuchen hatte. Das wird lustig, sagte ich, aber Gudrun lehnte ab. Daraufhin schlug ich vor, am Wochenende ins Freibad zu gehen. Ich verschwieg, daß es mir peinlich war, einen ganzen Nachmittag lang zwischen Hunderten von Menschen auf einer Wiese zu liegen, und sagte, daß ich sie gegen 14.00 Uhr von zu Hause abholen werde. Sie nahm an. In der Redaktion las ich die Eingabe an Adenauer. Nach zwei Seiten brach ich die Lektüre ab. Ich hatte noch nie einen derart verworrenen Text gelesen. Ich legte die Eingabe zur Seite und ärgerte mich, daß ich den Text nicht schon im Beisein seines Verfassers angelesen hatte. Fräulein Weber ging wieder in ihren neuen Schuhen umher. Es waren weiße, spitze Pumps, die ihr eine Spur zu eng waren. Trotz ihres langsamen Vornamens Gerlinde neigte Fräulein Weber zu überhasteten, aufgedrehten Bewegungen. Oft wirkte sie auf mich wie ein an Land geworfener Fisch. Ich wollte zu ihr sagen: Gehen Sie ein bißchen barfuß umher, aber ich traute mich nicht. Erst als Herrdegen ihr einen neuen Zettel übergab, verließ sie den Raum. Am Frühabend mußte ich zu einer Autogrammstunde mit Rex Gildo. Sie fand in einem großen Schallplatten- und Phonohaus im Stadtzentrum statt. Als ich eintraf, war das Geschäft schon überfüllt. Junge Mädchen und ältere Hausfrauen, Rentner und Schüler drängten in den Raum. Rex Gildo war noch nicht da, ein Sprecher der Plattenfirma besänftigte die Leute. Ich stellte mich beim Inhaber des Schallplattenladens vor. Oh, Herr Weigand, ich freue mich, Sie kennenzulernen! rief er fröhlich aus. Er winkte eine Angestellte herbei, die Käsehäppchen und Sekt brachte. Rex Gildo kannte ich aus dem Musikfilm mit Peter Alexander, in dem er eine Nebenrolle als Hotelpage gespielt hatte. Der Mann von der Plattenfirma kündigte an, Rex Gildo werde auf jede gekaufte Rex-Gildo-Schallplatte sein Autogramm setzen. Eine Dame schenkte den Pressevertretern je eine Rex-Gildo-Schallplatte. Die Dame machte darauf aufmerksam, daß die uns überreichten Platten bereits ein Autogramm trugen. Immer noch strömten junge Leute in das Geschäft und kauften Platten und warteten. Ich hoffte, Linda hier zu treffen, aber sie erschien nicht. Frau Finkbeiner von der Allgemeinen Zeitung stand neben mir und schwieg. Ich wußte nicht, warum ich mich schämte. Im stillen hoffte ich, daß mich niemand anredete. Für den Fall, daß mich doch jemand in ein Gespräch verwickelte, legte ich mir ein paar Antworten zurecht. Dann vergaß ich die vorbereiteten Sätze und kam mir wieder stumm vor. Kurz darauf war ich dankbar, daß niemand etwas von mir wollte. Draußen fuhr ein cremefarbenes Cabriolet mit weinroten Ledersitzen vor, fast wie im Musikfilm. Rex Gildo stieg aus und hob beide Arme und winkte in Richtung Schallplattengeschäft. Der Geschäftsführer stürzte nach vorne und riß beide Glastüren auf. Junge Mädchen folgten ihm und umringten Rex Gildo schon auf dem Bürgersteig. Rex Gildo war nur wenig älter als ich. Er hatte ein goldbraunes Brathähnchengesicht und schwarzgefärbtes Haar. Es gab Hausfrauen, die ihm gleich drei Schallplatten entgegenstreckten. Rex Gildos Augen blitzten, er lächelte nach allen Seiten. Er trug enge Hosen, ein weißes Blusenhemd und eine Art Bolero. Ich sah Rex Gildo dabei zu, wie er rasend schnell Autogramme gab. Plötzlich war ich überzeugt, daß jedes Zeichen und jede Bewegung in diesem Raum eine Fälschung war. Sogar das Autogramm von Rex Gildo war unecht. Es war eine allgemeine, nichtssagende Wellenlinie, die ebensogut Erich Huber oder Fritz Müller heißen konnte. Aber die Mädchen waren beglückt über die Wellenlinie und beugten sich begeistert über sie. Ich sehnte mich nach einer Instanz, die mich nicht betrog. Plötzlich wußte ich, warum ich mich schämte. Ich fühlte mich erniedrigt. Unklar war nur, ob mich das Geschehen direkt erniedrigte oder ob ich mich selbst erniedrigte, weil ich an diesem Geschehen teilnahm. Aber es war mir nicht möglich, die Herkunft der Scham genau zu ermitteln. Die allgemeine Erniedrigung der Wirklichkeit und mein inneres Erniedrigungsgefühl waren untrennbar ineinander verschlungen. In diesen Augenblicken

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