Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman
an den Häusern entlang und verschwanden dann in kleinen Dreckhäufchen oder unter welken Blättern. Als Kind glaubte ich eine Weile, es würde immer nur in Hinterhöfe regnen. Ein junges Mädchen trug seine Schuhe in den Händen und ging barfuß über die halbwarmen Gehwegplatten. Immer wieder trat eine Frau an ein Fenster und schaute nach, wie lange es noch regnen würde. Zum ersten Mal überlegte ich, ob ich mir eine kleine Wohnung suchen sollte. Meine Nebeneinkünfte erlaubten mir solche Pläne. Allerdings fürchtete ich, daß meine Eltern verletzt sein würden, wenn ich sie verließ. Ich sagte ihnen nicht, daß meine Nebeneinkünfte mein sogenanntes Lehrlingsgehalt längst unwichtig gemacht hatten. Am Haus gegenüber war die Dachrinne defekt, das Wasser stürzte wie aus einer Kanne geschüttet auf die Straße herab. Zwei Kinder zogen sich aus und ließen das Wasser auf ihre aufjuchzenden Körper aufplatschen. Mich drückte jetzt doch die Kritik, die ich über den Musikfilm geschrieben hatte. Der Film war auch in den anderen Blättern lobend besprochen worden. Dieser Tage hatte ich zufällig die Warteschlangen vor der Kasse des Royal gesehen. Junge Mädchen, Rentner, Hausfrauen, Schüler, Heimkehrer, alle wollten Peter Alexanders Faxen sehen. Der Andrang des Publikums war mir unverständlich. Es gab offenbar so etwas wie ein Kartell der Einfalt; dümmliche Leute lasen dümmliche Kritiken und sahen sich dann dümmliche Filme an. Seit einigen Tagen hatte ich in diesem Kartell eine leitende Stelle inne. Aber vielleicht waren viele Teilnehmer des Kartells nicht wirklich, sondern nur gespielt einfältig, weil sie nur so am riesigen Ertrag der Volksschlichtheit teilhaben konnten. Oder war überhaupt niemand dumm? Gab es ein allgemeines Vergnügen an der humoristischen Versimpelung des Lebens, das mir aufgrund meiner inneren Strenge nicht zugänglich war? Ich überlegte, bis der Regen nachließ, und stieß doch nicht zu einer brauchbaren (plausiblen) Wahrheit vor. Zum Trost blickte ich den kleinen roten Käfern nach, die vor der Nässe in eine Hofeinfahrt flüchteten.
Der »Grüne Baum« war überfüllt. Ich durchquerte die verdickte Luft und suchte nach Linda. Ich nickte Kaltenmeier und Schube zu, und als ich mich an Kindsvogel vorbeidrückte, flüsterte er mir zu: Linda ist nicht da! Sie ist wieder bei ihrem Seemann! Kindsvogel schaute mir auf gleißende Art in die Augen. Vermutlich wollte er sehen, ob sich bei mir Spuren der Eifersucht zeigten. Wann kommt sie zurück? fragte ich. Am Montag ist sie wieder da, sagte Kindsvogel. Ich wollte fragen, ob Kindsvogel noch mehr über Linda wußte, aber ich beherrschte mich. Zu Schube und Kaltenmeier wollte ich mich nicht stellen. Zum ersten Mal empfand ich Unbehagen an den Leuten, die über ihre nichtgeschriebenen Romane und Gedichte redeten. Vielleicht war es nicht wichtig, ob die immer wieder angekündigten Romane und Gedichtbände jemals erscheinen würden. Schlimm wäre nur gewesen, einen Roman niemals angekündigt zu haben. Ich vermißte Linda. Ohne sie hatte ich in diesem Lokal kaum etwas verloren. Die Tür öffnete sich, ein Fremder trat ein. Es war ein kleiner fülliger Mann mit einem zusammengerollten Bündel unterm linken Arm. Das Bündel war ein Teppich, den der Mann hier verkaufen wollte. Er ging von Tisch zu Tisch und rollte das Bündel ein wenig auf. Es war ein schwerer Teppich von undurchschaubarer Herkunft und Qualität. Einige Gäste faßten ihn kurz an und machten dann ein Zeichen, daß der Fremde weitergehen sollte. Mit jedem, der seinen Teppich angefaßt hatte, wollte der Fremde ein Gespräch beginnen. Ich überlegte, ob vielleicht ich den Teppich kaufen sollte. Wenn ich mir demnächst eine Wohnung mieten würde, hätte ich schon mal einen Teppich. Aber ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie man eine Wohnung einrichtet und wie eine Wohnung für mich aussehen könnte. Ich hatte in diesen Augenblicken vergessen, daß ich mit Gudrun ein gemeinsames Sparbuch hatte und daß wir beide schon öfter darüber gesprochen hatten, wie unsere Wohnung aussehen sollte. Der Lyriker Schube winkte den Teppichverkäufer gleich weiter. Der halb geduckte, halb gepeinigte Blick des Mannes schmerzte mich. Schube redete laut von der Notwendigkeit einer neuen Geistesaristokratie. Zwei jüngere Frauen hörten ihm zu und nickten zustimmend. Auf einem Zettel notierte ich das Wort Geistesaristokratie; morgen früh, in der Redaktion, würde ich es im Lexikon nachschlagen. Noch immer
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