Eine Frau flieht vor einer Nachricht
hatte, war klein, etwa so groß wie ein Ei. Sie richtete sich kniend auf, packte den Stein mit beiden Händen und schlug weiter. Mit jedem Schlag flog ihr Kopf nach vorne, und jedes Mal entwich ihrem Mund ein Stöhnen. Die Haut an ihren Händen riss schon ein. Avram schaute entsetzt, konnte den Blick nicht von ihren aufgeschürften Händen wenden. Sie schien nicht schwächer zu werden. Im Gegenteil, sie schlug immer schneller, schlug und stöhnte, warf im nächsten Moment auch diesen Stein fort und grub mit den Händen weiter. Mit den Fingern pulte sie kleinere und größere Steine aus der Erde und warf sie weg; zwischen ihren Beinen, über ihren Kopf hinweg flog die feuchte Erde nach hinten. Avrams Gesicht wurde lang vor Anspannung, seine Augen traten fast aus ihren Höhlen. Sie bemerkte ihn nicht. Als habe sie vergessen, dass er da war. Staub klebte an ihrer Stirn, an den Wangen. Ihre schönen hellen Augenbrauen bekamen Bögen von Erde, und um den Mund bildeten sich klebrige Mulden. Mit ausgestreckten Fingern maß sie, was sie gegraben hatte. Sie säuberte das Loch ein bisschen, glättete nun seinen Boden mit zarten, sanften Bewegungen, als drücke sie Teig in eine Form. Ora, nein, flüsterte Avram in seine Hand, und obwohl er plötzlich wusste, was sie tun würde, zuckte er erschreckt zusammen: Mit drei schnellen Bewegungen hatte Ora sich hingelegt und drückte ihr Gesicht in die aufgerissene Erde.
Sie redete. Er verstand die Worte nicht. Ihre Hände lagen links und rechts von ihrem Kopf wie die Beine einer Heuschrecke. Das kurze Haar, mit Staub und Erde befleckt, bebte in ihrem Nacken. Er hörteihre Stimme wie ein dumpfes, zerbrochenes Klagelied, wie ein Mensch, der seine Beschwerden vor einem Richter ausbreitet, doch der Richter war grausam und sein Herz war aus Stein, dachte er, ein Angsthase von einem Richter. Genau wie ich. Ab und zu hob sie den Kopf, holte mit aufgerissenem Mund Luft, ohne ihn anzuschauen, ohne etwas zu sehen, und steckte das Gesicht sofort wieder in die Erde. Angezogen von ihrem Schweiß kamen die Morgenfliegen. Ihre Beine in der schmutzigen Wanderhose zuckten ab und zu und verkrampften sich, ihr ganzer Körper war angespannt wie in Fesseln, und Avram begann, auf der Erde hin und her zu rennen.
Unter ihnen lag das Hulatal, sonnenüberflutet, und wurde immer gelber. Die Fischteiche glitzerten, die Pfirsichhaine blühten rosa. Ora lag mit dem Gesicht auf dem Boden und erzählte dem Bauch der Erde eine Geschichte, sie schmeckte die Erdschollen und wusste, süß würden sie ihr nie schmecken, auch wenn das oft auf Beerdigungen gesagt wurde. Schal und staubig würden sie sein. Ihre Zähne zermalmten Staub, Staub ließ ihre Zunge am Gaumen kleben, wurde zu Schlamm. Die Nase rann, die Augen tränten, sie verschluckte sich an dem Staub, ein ums andere Mal schlug sie den Kopf auf die Erde, und wie ein Nagel rammte sich der Gedanke in ihrem Hirn fest, dass sie es wissen musste. Sie musste wissen, wie das ist. Hatte sie doch, als er ein Baby war, alles, was sie für ihn zubereitete, zuerst selbst probiert, um zu sehen, ob es nicht zu heiß oder zu salzig für ihn war; Avram, über ihr, atmete schwer, zitterte heftig und biss sich, ohne es zu merken, in die verkrampften Fingergelenke. Er wollte Ora packen und da rausziehen, wagte aber nicht, sie anzufassen. Er erkannte den Geschmack von Staub in den Augen, das Ersticken in der Nase, das Brennen heruntergeworfener Salven Erde – einer der beiden, der Dunkle mit dem Bart, hatte einen Spaten, und der andere nahm die vorher aus dem Loch herausgeschaufelte Erde mit den Händen von dem Haufen. Avram selbst hatte das Loch ausgehoben, mit Blasen an den Händen. Er hatte sie gebeten, sich seine Socken um die Hände wickeln zu dürfen. Sie hatten gelacht und es nicht erlaubt. Er hatte schon über eine Stunde gegraben und trotzdem nicht geglaubt, dass sie es ernst meinten. Schon dreimal hatten sie ihn gezwungen, sich sein Grab zu schaufeln, und hatten im letzten Moment gelacht und ihn zurück in die Strafzellegebracht. Und dieses Mal, selbst als sie ihm die Hände auf dem Rücken fesselten, ihm die Beine zusammenbanden, ihn hineinstießen und ihm befahlen, still zu liegen und sich nicht zu bewegen, hatte er sich geweigert zu glauben, vielleicht, weil die beiden nur einfache Soldaten waren, Fellachen, und diesmal hatten sie noch nicht einmal den djabet dabei, den Offizier, und Avram hoffte noch immer, dass sie es nicht wagen würden, so etwas auf eigene
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