Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Verantwortung zu machen. Er glaubte es auch noch nicht, als sie händeweise die lockere Erde auf ihn warfen, zuerst seine Beine bedeckten, langsam und mit merkwürdiger Sorgfalt, dann seine Hüften, den Bauch und die Brust, und Avram verdrehte seinen Körper und seinen Kopf nach hinten und suchte mit den Augen den djabet , dass er ihnen befehle, damit aufzuhören, und erst als die erste Handvoll Erde ihn ins Gesicht traf, auf die Stirn und die Lider – bis heute erinnert er sich daran; ein Erdbrocken zerbirst mitten auf seinem Gesicht, das Brennen in den Augen, Erdkörnchen rieseln hinter seine Ohren –, erst da begriff er, dass es diesmal vielleicht kein Spiel war, keine weitere Stufe der Folter, sondern dass sie es tatsächlich machen, dass sie ihn lebendig begraben, und ein Ring kalten Entsetzens schließt sich um sein Herz, spritzt ihm lähmendes Gift in den Körper, es ist aus und du bist aus, noch einen Moment, dann bist du nicht mehr da, dann wirst du nicht mehr sein; Blut spritzt aus den Augen, aus der Nase, der Körper zappelt unter den Erdschichten, schwer, schwer ist die Erde, wer hätte gedacht, wie schwer auf der Brust, und der Mund verschließt sich vor dem Staub und reißt auf, Erde zu atmen, und der Rachen ist Erde, und die Lungen sind Erde, und die Zehen strecken sich, um zu atmen, und die Augen treten aus den Höhlen, und plötzlich in alledem, wie ein langsam kriechender durchsichtiger Wurm, der Wurm eines traurigen kleinen Gedankens darüber, dass völlig fremde Menschen in einem fremden Land ihm Erde auf sein Gesicht schütten, auf sein Gesicht, ihn lebendig begraben, ihm Staub in die Augen und in den Mund werfen und ihn töten, das ist nicht in Ordnung, will er schreien, das ist ein Fehler, ihr kennt mich doch nicht einmal, und er knurrt und kämpft, die Augen aufzumachen, um noch einen letzten Blick zu erhaschen, Licht, Himmel, eine Betonwand, sogar das grausame, höhnische Gesicht, aber immerhin das Gesicht eines Menschen – hier an der Seite über seinem Kopf fotografiert ihnjemand, da steht ein Mann über einer Kamera, es ist der djabet , der kleine, schmale ägyptische Offizier mit einer großen schwarzen Kamera, eifrig fotografiert er Avrams Tod, vielleicht macht er sich ein Bild zum Andenken, um es nachher zu Hause der Frau und den Kindern zu zeigen, und in diesem Moment ließ Avram sein Leben los, in diesem Moment ließ er es wirklich los. Er hatte es nicht losgelassen, als er allein in der Festung zurückgeblieben war, drei Tage und drei Nächte, und auch nicht, als der ägyptische Soldat ihn aus seinem Versteck herauszog, und auch nicht, als die Soldaten ihn auf den Lastwagen hoben und fast totschlugen, mit Fäusten und Tritten und Gewehrkolben, und nicht, als ägyptische Bauern unterwegs den Lastwagen überfielen und ihn lynchen wollten, und nicht in den vielen Tagen und Nächten der Verhöre und der Folter, als sie ihn hungern und dursten und nicht schlafen ließen, ihn zwangen, stundenlang in der Sonne zu stehen, ihn ganze Tage in den Stehbunker sperrten und ihm einen nach dem andern die Fingernägel und die Zehennägel ausrissen, ihn unter die Decke hängten und seine Füße mit Gummiknüppeln schlugen und seine Hoden und seine Brustwarzen und seine Zunge an Strom anschlossen und ihn vergewaltigten – all diese Male hatte er immer noch etwas gehabt, an das er sich hatte klammern können, eine halbe Kartoffel, die ihm ein barmherziger Gefängniswärter in die Suppe schmuggelte, oder das Zwitschern eines Vogels, das er jeden Tag hörte, vermutlich im Morgengrauen, oder das er sich einbildete, oder die fröhlichen Stimmen zweier kleiner Kinder, vielleicht die des Gefängniskommandanten, die einmal ihren Vater besuchen kamen und einen ganzen Morgen in einem der Gefängnishöfe geplappert und gespielt hatten. Und mehr noch, er hatte das Hörspiel, das er während seines Militärdienstes im Sinai geschrieben hatte, bis der Krieg anfing, ein Hörspiel mit verschlungener Handlung und vielen Personen. Zu einer Nebenhandlung vor allem kehrte er immer wieder zurück, mit der er sich, bis er in Gefangenschaft geriet, nicht weiter beschäftigt hatte, die ihm hier aber das Leben rettete. Es war die Geschichte von zwei Findelkindern, die ein ausgesetztes Kind finden; und zu seiner großen Überraschung stellte Avram fest, dass gerade seine erfundenen Figuren in der Gefangenschaft nicht verblassten, anders als die wirklichen Menschen, anders sogar als Ora und Ilan – vielleicht weil der
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