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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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stör sie jetzt nicht.
    Und das ist nicht nur wegen deiner Erinnerung, sagte sie, und er öffnete fragend ein Auge; ich meine, dass du dich an alles erinnerst und bei mir das Hirn in der letzten Zeit wie ein Sieb geworden ist, nicht deshalb wollte ich, dass du mitkommst.
    Sein Kopf war schon auf die Brust gesunken. Sein ganzer Körper nach innen gerollt.
    Ich wollte, dass du mitkommst, damit ich mit dir über ihn reden kann, sagte sie, ich wollte dir einfach von ihm erzählen, dass, falls ihm was passiert …
    Avram verschränkte die Arme und presste sie an die Brust. Beweg dich nicht. Hau nicht ab. Lass sie reden.
    Und glaub mir, ich hab mir das alles nicht vorher überlegt, sie lachte verlegen, mit verstopfter Nase – du kennst mich, ich habe das nicht geplant, als du mich angerufen hast, hab ich vorher nicht an dich gedacht, und ehrlich gesagt, an dem Tag, vorgestern, warst du mir völlig aus dem Kopf, mit dem ganzen Chaos, aber als du dann anriefst, als ich dich hörte, ich weiß nicht, da hab ich plötzlich gespürt, dass ich genau jetzt mit dir zusammen sein muss, verstehst du? Mit dir und mit niemand anderem.
    Je länger sie redete, umso aufrechter wurde sie, und ihr Blick wurde klarer, als finge sie endlich an, eine Geheimschrift, die man ihr übergeben hatte, zu entziffern: Ich hatte das Gefühl, wir müssten beide, zusammen, wie soll ich dir das sagen, Avram …
    Mit aller Kraft mühte sie sich, dass ihre Stimme fest und klar blieb und nicht zitterte. Noch nicht einmal bebte. Sie dachte an die allergischen Reaktionen von Ilan und den Söhnen, wenn sie sie überschwemmte.
    Im Grunde sind wir sein Vater und seine Mutter, sagte sie leise, undwenn wir, zusammen, ich meine, wenn wir nicht das machen, was Eltern …
    Da hielt sie inne. In den letzten Sekunden hatte er schon seine Arme nach oben und zu den Seiten ausgestreckt und zappelte wie von Ameisen gebissen. Sie betrachtete ihn und nickte mehrere Male langsam. Gut, seufzte sie, wollte aufstehen, was kann ich noch … Ich bin echt ein Idiot, wie konnt ich überhaupt glauben, dass du …
    Nein, sagte er eilig, legte ihr die Hand auf den Arm und zog sie sofort zurück: Ich hab mir gedacht … Was meinst du, vielleicht bleiben wir noch einen Tag, nur einen Tag, was ist schon dabei, und dann sehn wir.
    Was sehn wir dann?
    Ich weiß nicht. Schau her, ich, wie soll ich sagen, ich leide nicht so schlimm. Es ist nicht so, wie du sagst, er schluckte mühsam, das ist nur, wenn du mich damit bedrängst. Mit ihm.
    Mit Ofer, sag wenigstens das.
    Er schwieg.
    Noch nicht mal das?
    Er ließ die Arme sinken.
    Wie in Gedanken versunken nahm Ora die Brille ab, klappte sie zusammen und steckte sie in die Rucksacktasche. Dann strich sie sich mit beiden Händen fest über die Schläfen und verharrte einen Augenblick so, als lausche sie einer fernen Stimme.
    Und plötzlich stürzte sie sich auf die Erde und begann zu graben; mit beiden Händen riss sie Erdstückchen und Steine heraus, zerriss Wurzeln. Avram sprang überraschend schnell von seinem Platz auf und stellte sich vor sie voller Anspannung. Sie schien ihn nicht zu bemerken. Sie stand auf, fing an, mit dem Absatz fest in die Erde zu stoßen. Erdstückchen spritzten weg, einige trafen ihn. Er rührte sich nicht. Sein Mund war verschlossen, sein Blick konzentriert und ernst. Sie kniete sich hin, zog einen spitzen Stein aus dem Boden und schlug mit ihm in die Erde. Sie hämmerte schnell, die Unterlippe zwischen den Zähnen eingeklemmt. Sofort rötete sich die dünne Gesichtshaut. Avram beugte sich hinunter, kniete sich mit einem Bein ihr gegenüber hin und ließ sie nicht aus den Augen. Seine Hand lag mit ausgestreckten Fingern auf der Erde, wie bei einem, der sich auf den Start vorbereitet.
    Das Loch wurde tiefer und breiter. Die weiße Hand mit dem Stein sauste ununterbrochen hoch und runter. Avram neigte den Kopf erstaunt zur Seite und sah ein bisschen aus wie ein Hund. Ora hielt inne. Stützte sich auf die Ellbogen. Starrte auf die gestampfte, zerkrümelte Erde, als verstehe sie nicht, was sie da sah, und machte sich dann wieder mit dem Stein über sie her. Sie stöhnte vor Anstrengung und Wut. Ihr Nacken wurde rot und schwitzte, die dünne Bluse klebte an ihrer Haut.
    Ora, flüsterte Avram vorsichtig, was machst du da?
    Sie hörte auf zu graben und suchte einen anderen, größeren Stein. Mit dem Unterarm schob sie sich eine kurze Haarsträhne aus der Stirn und wischte sich den Schweiß ab. Das Loch, das sie gegraben

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