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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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und hieß den müde gewordenen Kreis weitertanzen, und Ora legte, zum Schutz vor der Sonne und um die vor ihr tanzenden Schatten in Menschen zu verwandeln,die Hand über die Augen und sah, dass einer von ihnen ein verkürztes Bein hatte und ein anderer den Kopf in einem merkwürdigen Winkel zum Himmel richtete, vielleicht war er blind, und eine Frau war so bucklig, dass ihr Oberkörper fast bis zur Erde zusammengeklappt war, und eine andere, mit offenem, seiberndem Mund, hielt einen ausgemergelten Albinojungen an der Hand, der mit leeren Augen lachte. Der Kreis drehte sich nur mühsam um die eigene Achse, und der junge energische Mann beugte sich wieder zu ihnen hinunter und sagte lächelnd, Freunde, vielleicht kommt ihr für eine Stunde mit mir. Ora schaute zu Avram, der mit gesenktem Kopf dasaß und scheinbar nichts sah und nichts hörte, und sagte zu dem Mann, nein, danke, und der Mann sagte, was könnt ihr dabei verlieren, bloß eine Stunde, mehr nicht, und Ora sagte, Avram? Der zuckte mit den Schultern, als wolle er sagen, entscheide du, und Ora wandte sich scharf an den jungen Mann, aber red mit mir nicht über die Nachrichten, hörst du? Kein Wort davon! Der Mann war überrascht, schien das erste Mal aus dem Gleichgewicht zu geraten und war schon drauf und dran, eine besonders schlaue Antwort zu geben, doch dann schaute er noch einmal in ihre Augen und schwieg.
    Und auch ohne zu missionieren, fügte Ora hinzu. Der Mann lachte, ich werd’s versuchen, aber beschwer dich nicht, wenn du mit einem Lächeln hier weggehst, und Ora sagte, über ein Lächeln werd ich mich nicht beschweren.
    Er streckte Avram die Hand entgegen, doch Avram nahm sie nicht, sondern stand allein auf, und der junge Mann half Ora, während er sie weiter umtanzte, den Rucksack aufzusetzen und verkündete, er heiße Akiba, sei aber nicht der berühmte Rabbi Akiba, und platzierte Avram in der Mitte der kleinen Schlange und Ora am Ende und führte seine verwirrte Herde weiter.
    Avram griff nach der Hand der buckligen Alten und nahm mit der andern die des Albino-Jungen, und Ora hielt die Hand einer glatzköpfigen Frau, an deren Beinen sich dicke blaue Adern hochschlängelten. Ununterbrochen fragte sie Ora, was es denn zum Mittagessen gebe, und forderte von Ora ihren großen Kochtopf zurück. So zogen sie weiter, erklommen einen kleinen Hügel, und Avram drehte sich immer wieder zu Ora um, suchte sie mit den Augen, und sie schickte ihmeinen schulterzuckenden Blick, du kannst mich umbringen, keine Ahnung, was das soll, und Akiba drehte sich um und blickte sie beide aufmunternd an und sang lauthals eine schrille Melodie. So gingen sie weiter, mal bergauf, mal bergab, Ora und Avram versanken in sich selbst, sie waren blind für die überquellende Schönheit um sie herum, gelbe Teppiche von Wolfsmilch, violette Orchideen und Pistazienbäume in ihrer roten Blüte, sie rochen auch nicht den betörenden Duft, den die Hitze des Tages den Blüten des Dornginsters entlockte, doch Ora wusste, dass es gut und heilsam für sie war, so geführt zu werden, an der Hand, ohne sich zu sorgen, wohin sie den Fuß beim nächsten Schritt setzen sollte, und Avram ging und dachte, ihn würde es nicht stören, sich den ganzen Tag so mitziehen zu lassen, wenn er nur nicht mitansehen müsste, wie Ora seinetwegen litt, vielleicht würde er ihr ja später, wenn sie wieder allein waren, sagen, er sei bereit, sich ein bisschen von Ofer erzählen zu lassen, wenn es unbedingt sein müsse, doch er würde sie bitten, nicht direkt von ihm zu erzählen, nicht von ihm selbst, und sie solle vorsichtig von ihm reden, und langsam, damit er sich nach und nach an diese Qual gewöhnen könne.
    Ora hob den Kopf, eine merkwürdige Freude begann in ihr aufzubrechen, vielleicht weil sie in die Erde hineingesprochen hatte, deren Geschmack sie noch auf der Zunge fühlte, vielleicht weil sich auch zu Hause nach solchen Ausbrüchen, wenn ihr das Wasser bis zum Halse gestanden hatte und ihre Männer es mal wieder übertrieben hatten, immer so eine körperliche Süße in ihr ausbreitete. Ilan und die Jungs schauten sie dann schockiert mit einer merkwürdigen Ehrfurcht an, brannten darauf, sich zu versöhnen, aber sie schwebte noch minutenlang in einer Wolke von Genugtuung und tiefem Wohlgefühl. Vielleicht freute sie sich auch wegen der Leute in diesem Reigen, die in ihr trotz ihrer Fremdheit, ihres Elends und ihrer Gebrechlichkeit eine somnabule Gelassenheit auslösten. Von Staub sind wir genommen,

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