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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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Lieferwagen ohne Räder. Unter den zusammengewürfelten Häusern war ab und zu ein funkelnagelneues, erhob sich ein Steinschlösschen mit Türmchen und Giebeln, und ein Schild verkündete, hier im Hof gebe es Gästezimmer zum Verwöhnen in der verzaubernden Atmosphäre Galiläas mit Whirlpool und Shiatsu. Nach und nach kamen Kinder und Erwachsene aus den Häusern und riefen, Akiba kommt, Akiba kommt, und Akibas Gesicht strahlte. Immer wieder blieb er stehen, übergab einer Frau oder einem Kind ein Mitglied seines Häufleins, und an jedem Haus bat man ihn, doch wenigstens für einen Moment hereinzukommen, etwas zu trinken und zu probieren, auch sei das Mittagessen gleich fertig, doch er lehnte ab, kurz sei der Tagund die Arbeit noch groß. So zog er durch die Hauptstraße des Moschaws, eine andere gab es nicht, bis er all seine Schäfchen verteilt hatte und nur noch mit Avram und Ora übrigblieb. Die beiden holte keiner ab, aber einige Kinder und Jugendliche schlossen sich ihnen an und fragten sie, wer sie seien und woher sie kämen, ob sie Touristen oder Juden seien, und sie einigten sich darauf, dass es sich wohl um Juden handle, obgleich aschkenasische, und sie wunderten sich über ihre Rucksäcke und die Schlafsäcke und über Oras verkratztes und schmutziges Gesicht. Verbitterte Hunde mit gelbem Fell und verhärmter Seele rannten ihnen hinterher und verbellten sie. Die beiden sehnten sich danach, auf ihren Weg und in ihre Einsamkeit zurückzukehren. Ora konnte in sich das Sprechen über Ofer nicht anhalten, doch Akiba war noch nicht bereit, von ihnen abzulassen, er fragte, wobei er weiter redete und tanzte, womit er ihnen helfen könnte, und erklärte ihnen, während er einem alten Mann einen Gruß zuwinkte und ein Kind im Vorbeigehen segnete, für ihn sei, was er hier mache, eine gute Tat und auch sein Einkommen. Man habe in der Kommunalverwaltung diese besondere Stelle für ihn geschaffen, Erfreuer der Niedergeschlagenen , so stehe es tatsächlich auf seiner Gehaltsabrechnung, und das mache er jeden Tag, sechs Tage die Woche, und obwohl man ihm dieses Jahr das Gehalt um die Hälfte kürze, arbeite er doch voll weiter, hänge jeden Tag sogar noch zwei Stunden dran, denn in heiligen Dingen füge man nur hinzu und ziehe niemals ab. Und überhaupt kenne er Avram aus seinem Pub in der HaJarkon-Straße, doch hätten sie da beide noch keine Bärte gehabt, Akiba habe noch Aviv geheißen, und Avram habe manchmal laut hinter der Bar Otshi tshornye und Paul Robson gesungen, und er habe damals eine ganz interessante Theorie über die Erinnerung, die alten Gegenständen innewohne, gehabt; wenn man alle möglichen Schrottteile zusammenfüge, könne man sie dazu bringen, ihre Erinnerungen freizulassen, war es nicht etwa so? Ganz recht, brummte Avram und warf Ora einen ausweichenden Blick zu, Ora horchte auf, und Akiba lief schell und erzählte, er habe sich vor fünf Jahren bekehrt, vorher habe er in Jerusalem Philosophie studiert, war Doktorand, Schopenhauer sei für ihn fast ein Gott gewesen, die Liebe seines Lebens, das heißt, der Hass seines Lebens, lachte er aus seinen grünen Augen, kennt ihr Schopenhauer? Von wegen Gott-verbirgt-sein-Angesicht! Von wegen schwärzer-als-schwarz! Und ihr, was ist mit euch, Freunde, welche Traurigkeit hat euch angesprungen?
    Lass gut sein, lachte Ora, uns munterst du nicht mit einem Segen oder einem Tänzchen auf, wir sind ein vertrackter Fall. Da blieb Akiba mitten auf der Straße stehen und wandte sich ihr ganz zu: sein Gesicht mit den lebendigen Augen, den hohen, starken Wangenknochen, und sie dachte, was für eine Verschwendung, und er sagte zu ihr, sei nicht hochmütig, auch hier ist alles vertrackt, was denkst du, hier passieren Dinge, die den stärksten Glauben zerbrechen können. Du kannst hier Geschichten hören, die nur der menschenfeindlichste Schriftsteller hätte schreiben können, vielleicht Bukowski an einem besonders schlechten Tag, oder Burroughs in der Krise. Und als gläubiger Mensch, fuhr er, ganz ohne zu scherzen, fort, wie packst du so was weg? Was meinst du? Sie schwieg. Seine Lippen zitterten für einen kurzen Augenblick vor Wut oder vor gebrochenem Herzen, worüber sie staunte. Früher, sagte er leise, als ich wie du war, vielleicht sogar noch zynischer, ein richtiger Schopenhauerfreak, verstehst du, früher habe ich bei solchen Sachen gesagt, Gott schmeißt sich weg vor Lachen.
    Ora verzog den Mund und antwortete nicht. Sie sagte sich, halt den Mund und hör zu,

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