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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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ein bisschen Erbauung wird dir nicht schaden, oder hast du solche Kraftreserven, dass du auf eine kleine Ermutigung verzichten kannst? Einen Moment lang zögerte sie, ob sie wie zufällig ihren Anhänger aus der Bluse ziehen sollte, damit er sah, dass auch in ihr ein jüdisches Herz schlug, mein Gott, wie armselig du doch bist, lästerte sie, bettelst du jetzt um Almosen oder erregt dich dieser Akiba einfach ein bisschen, trotz der Schaufäden, die unter dem Hemd raushängen, trotz seines Gehüpfes und der frommen Sprüche?
    Akiba wischte sich die Wut vom Gesicht, mit beiden Händen wischte er sie weg, lächelte sie an und sagte, jetzt, liebe Freunde, gehen wir zu Ja’isch und Jakut und erfreuen sie ein bisschen, und vielleicht muntern ja auch sie uns ein wenig auf.
    Noch bevor sie deren Haus erreichten, lief ihnen bereits eine rundliche kleine Frau lachend entgegen, wischte sich die Hände an der Schürze ab und rief, wai wai , wie haben wir euch schon erwartet, wir sind ja fast vergangen, Schalom Akiba, Schalom der Herr, Schalom die Dame, es ist mir eine Freude, bitte, tretet alle ein, was ist Ihnen dennpassiert, gute Frau, sind Sie gestürzt, Gott behüte? Sie küsste Akibas Hand, und er legte ihr die Hand auf den Kopf und segnete sie mit geschlossenen Augen. Im Haus herrschte, obwohl es Mittag war, Dunkel; zwei Jugendliche waren dabei, einen Tisch mit einem Stuhl drauf heranzuziehen, um eine durchgebrannte Glühbirne auszuwechseln, und großer Jubel erhob sich, Akiba hat uns Licht gebracht! Akiba hat uns Licht gebracht! Als die Hausbewohner Ora und Avram sahen, verstummten sie und schauten Akiba an, damit er ihnen zeige, wie sie sich zu verhalten haben, und Akiba warf die Arme in die Luft und sang: Siehe, wie gut und wie lieblich es ist, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen , und sofort wurde Avram umständlich und mit Ehrerbietung in einem Sessel platziert, und eine breit gebaute Frau führte Ora ins Badezimmer. Dort wusch sie sich lange das Gesicht und die Haare, Rinnsale von Schlamm flossen von ihrem Kopf, und die Frau stand dabei und blickte sie mit guten Augen an, reichte ihr dann Handtuch und Watte, bestrich ihre Wunden und Risse vorsichtig mit gelbem Jod und sagte, es sei gut, wenn es brennt, da würden die Bakterien verbrennen, und schließlich führte sie Ora gewaschen und versöhnt zurück ins Zimmer zu den Gästen.
    Indessen tauchte aus dem Getümmel der Küche ein versilbertes Tablett auf, darauf Sonnenblumenkerne, Mandeln und Erdnüsse, Pistazien und Datteln, und ein weiteres Tablett, kupfern und rund, mit Teegläsern in fein gearbeiteten Silberhaltern, und die Frau des Hauses drängte Ora und Avram, sie sollten doch bitte zugreifen, gleich sei auch das Mittagessen fertig. Ora bemerkte mit Entsetzen einen muskulösen jungen Mann, ohne Beine, der in unglaublicher Geschwindigkeit auf den Händen zwischen den Zimmern hin und her flitzte, und Akiba erklärte: In dieser Familie sind die drei Söhne taubstumm geboren – die Wege Gottes sind unerforschlich –, aber die Mädchen sind gottlob in Ordnung, nur die Jungen, das ist vererbt, und der hier, Rachamim, ist der kleinste, der hat schon als Kind entschieden, dass die Behinderung ihn an nichts hindern soll, er hat auf dem Gymnasium in Kirijat Schmona gelernt und ein Einser-Abitur hingelegt, er war Buchhalter in einer Metallfabrik, bis er eines Tages genug davon hatte und die große weite Welt sehen wollte. Akiba wandte sich an Rachamim, nun mit betonteren Lippenbewegungen, und sagte, na Rachamim, einrichtiger Jetseter bist du uns geworden, was? Am liebsten jedes Wochenende nach Monaco? Rachamim lächelte, zeigte mit einer Hand auf die fehlenden Beine und machte eine herzerfrischende und zugleich entsetzliche Bewegung des Abtrennens, und Akiba erzählte, vor zwei Jahren habe Rachamim in Buenos Aires in einem Steinbruch gearbeitet, da sei eine große Maschine umgestürzt und habe ihn erdrückt. Aber sogar das habe ihn nicht stoppen können, sagte Akiba, beugte sich zu ihm und packte ihn an den Schultern: Auch so geht er seit einer Woche wieder arbeiten, hier im Moschaw im Eierlager, als Nachtwächter, und wenn Gott will, sagte Akiba und starrte Ora mit einem Blick an, der sein breites Lächeln widerlegte – dann werden wir ihn nächstes Jahr mit einem anständigen jüdischen Mädchen verheiraten.
    Auch hier bedrängte man sie, doch zum Mittagessen zu bleiben, und diesmal lehnte Akiba nicht sofort ab. Er zögerte, schloss die Augen und ging mit

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