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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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das spürte sie plötzlich mit dem ganzen Körper, aus Lehm geformt, und da konnte sie richtig das Platschen hören, als man sie irgendwann, im Dämmer der Zeiten, aus Erdbrei gebildet und ihre Rundungen gemacht hatte, schade nur, dass der Busen etwas danebengegangen ist, dass sie da so gespart haben, und die Schenkel waren zu dick, ihrer Meinung nach ohne jede Proportion, ganz zu schweigen vom Hintern,der sich im letzten Jahr durch Frustessen äußerst präsent gemacht hatte. Nachdem sie ihren Körper genug schlechtgeredet hatte, der übrigens schön anzusehen und sehr attraktiv war, und dies auch in den Augen Akibas, dessen blitzende Blicke ihr nicht entgingen, lächelte Ora, als sie daran dachte, wie man wohl Ilan getöpfert hatte: dünn, stark, hochgewachsen, von oben bis unten angespannt wie ein Bogen, und sie sehnte sich nach ihm, hier und jetzt, ohne nachzudenken, ohne zu erinnern oder nachzutragen, spürte nur, wie sein Fleisch in ihrem Fleisch bohrte, plötzlich brannte ein Stachel in ihr. Und Adam, wie hat man Adam geformt? Sie fing sich schnell wieder, wie fein und genau hatte man an seinem Gesicht gearbeitet, an den schweren Augen, den verschiedenen Ausdrücken des Mundes, und ihre Hände fuhren sehnsüchtig über seinen schmächtigen Körper mit dem leicht gebeugten Rücken, der gleichsam mit verdrehtem Hals von unten herauf protestierte, provozierte, ja, und diese Schatten auf seinen eingefallenen Wangen, der hervorstehende Kehlkopf, der ihn wie einen Talmudgelehrten aussehen ließ. Auch an ihre Ada dachte sie, machte ihr wie immer Platz und stellte sich vor, wie sie aussehen würde, wenn sie heute da wäre, manchmal sah sie Ebenbilder von ihr auf der Straße. Sie hatte auch eine Patientin gehabt, die wie Ada aussah, eine Frau mit Bandscheibenvorfall, die sie über ein Jahr lang behandelt und bei der sie wahre Wunder gewirkt hatte. Erst dann wagte sie es, an Ofer zu denken, kräftig, stämmig, groß ragte er aus dem Lehm, nicht sofort, nicht in den ersten Lebensjahren, da war er klein und dünn gewesen, bloß ein Paar riesige Augen, hervorstehende Rippen und Streichholzarme und -beine, aber danach, als er heranwuchs, wie schön erwuchs er da aus dem Lehm, mit seinem kräftigen Hals, den breiten Schultern, so fein und mit so viel Liebe zum Detail waren seine großen, kräftigen Glieder gearbeitet, und dann die überraschend schmalen Mädchenknöchel. Sie lächelte vor sich hin und warf Avram einen Blick zu, ließ ihn über seinen Körper gleiten, prüfte, verglich – ähnlich, nicht ähnlich –, und ein wonniger Jubel durchflutete ihren Bauch. Übrigens fügte Avram sich gar nicht schlecht in diese Truppe hier ein, es schien ihr, als empfinde auch er in den letzten Minuten eine unerwartete Erleichterung, denn ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, das erste überhaupt, ein beinahe erhebendes Lächeln, dachte Ora erstaunt,doch dann durchlief eine plötzliche Erschütterung das lahmende Häuflein, Hände wurden energisch zurückgezogen und lösten sich voneinander, und Ora erschrak, denn Avrams Mund riss auf, sein Lächeln wurde immer breiter, zerbarst, seine Augen blitzten, er fuchtelte wild mit den Armen, verfiel in diese Pferdesprünge, und dann kam das Aufseufzen aus der Tiefe …
    Im nächsten Moment hielt er inne, zog den Kopf wieder zwischen die Schultern, schlurfte weiter, und es schien, als würde er mit jedem Schritt grauer. Akiba warf Ora einen fragenden Blick zu, und sie gab ihm ein Zeichen, weiterzugehen, und zwang auch sich selbst, weiterzugehen. Was sie gesehen hatte, schockierte sie: den Zipfel des Geheimnisses, das sich ihr aus Avrams Innerem offenbart hatte, als habe er sich für einen Augenblick erlaubt, hier eine andere, eine erlösende Möglichkeit zu versuchen. Wie er sich verzerrt hat, dachte sie, wie ein Kind, das mit den Bruchstücken seiner selbst spielt.

    Nach einer ganzen Weile erreichten sie einen kleinen Moschaw, der sich mit seinen Hainen hinter einem Hügel versteckte. Zwei Reihen Häuser, an fast allen klebten Balkons, aufgesetzte Stockwerke und Anbauten, dann Hühnerställe und Silos mit Mischfutter, dazwischen Höfe mit aufgestapelten Kisten, Eisenrohren, alten Kühlschränken und allen Arten von Schrott – Avrams Augen erwachten, spähten interessiert, erwogen Möglichkeiten –, Betonbunker, die wie Nasen aus der Erde ragten und mit Farben und Kreide bekritzelt waren, hier und da auch ein verrosteter Traktor oder ein auf Mauersteinen aufgebockter

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