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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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»Kriegsneurose« diagnostiziert habe. Die Ärzte konnten die Art seiner Verletzung zwar nicht genau feststellen und auch nicht sagen, in welchem Ausmaß Heilerfolge zu erwarten seien, doch waren sich alle einig, dass er nicht die eindeutigen Symptome einer Kriegsneurose habe. Wenn er keine Kriegsneurose hat, was hat er dann? hatte Ilan erstaunt gefragt und die Stirn vorgeschoben, als setzte er zum Angriff an. Schwer zu sagen, seufzte der Psychologe, seine Merkmale sind grenzwertig: Es ist durchaus möglich, dass er in ein paar Wochen oder Monaten da rauskommt, aber es kann auch länger brauchen. Wir glauben, besser gesagt, wir schätzen, dass er das Tempo seiner Heilung irgendwie selbst in der Hand hat, natürlich nicht bewusst.
    Ich versteh nicht, polterte Ilan los, sagen Sie, er macht uns was vor? Er markiert bloß?
    Gott behüte, sagte der Psychologe und hob die ausgebreiteten Hände, ich, also wir, das heißt der psychologische Betreuungsdienst des Sicherheitsministeriums, denken nur, dass Avram es vorzieht, in kleinen Schritten ins Leben zurückzukehren. In sehr kleinen Schritten. Und ich empfehle Ihnen, darauf zu vertrauen, dass er vermutlich viel besser als wir alle weiß, was gut für ihn ist.
    Sagen Sie mir, sagte Ora und legte ihre Hand zügelnd auf Ilans Arm, kann es sein, dass die Tatsache, dass wir, Ilan und ich, ein Kind bekommen haben, irgendetwas damit zu tun hat … wie soll ich sagen – Mit seiner Weigerung zu leben, zischte Ilan.
    Diese Frage kann nur er ihnen beantworten, sagte der Psychologe und schaute sie nicht an.

    Ilan wohnte weiterhin in dem Schuppen im Hof, seine Anwesenheit wie auch seine Abwesenheit waren immer weniger zu spüren. Ora glaubte nicht, dass es ihm noch gelingen würde, den Ozean zwischenSchuppen und Haus zu überqueren. Er selbst sagte ihr bei einem nächtlichen Telefonat vom Schuppen aus, dies sei wohl die Nähe zu ihr und zu Adam, zu der er fähig sei. Sie fragte schon nicht mehr, was er meinte. Sie hatte den Eindruck, dass sie tief in sich bereits auf ihn verzichtet hatte. Wieder prüfte er – es war nicht das erste Mal –, ob sie wolle, dass er aus dem Hof verschwinde. Sie müsse nur ein Wort sagen – am nächsten Tag sei er weg. Ora sagte, ob du gehst oder ob du bleibst, das ist eigentlich egal.
    Für kurze Zeit hatte sie einen neuen Freund, Motti, geschieden, Akkordeonspieler, der öffentliche Singabende veranstaltete. Ihre Freundin Ariela hatte ihr den vermittelt. Sie traf sich mit ihm meist draußen – mehr Adams als Ilans wegen. Wenn ihre Eltern Adam für drei Tage zu sich nach Haifa holten, lud sie Motti ein, bei ihr zu schlafen. Sie wusste, Ilan in seinem Schuppen sah oder hörte ihn zumindest, und sie versuchte nicht, etwas zu verheimlichen. Motti schlief ohne jede Anmut mit ihr. Er tastete sich den Weg in sie und fragte sie dauernd, ob er »schon dort« sei. Ora wollte nicht sein »dort« sein. Sie erinnerte sich an die Zeiten, wo sie ganz und gar »hier« gewesen war. Danach sang Motti in der Dusche in einem schmetternden Tenor Marina, Marina, Marina , und Ora sah Ilans Schatten im Schuppen, wie er auf und ab lief. Sie lud Motti nicht mehr ein.
    Eines Abends, mit Avram in seiner Wohnung in Tel Aviv, beim gemeinsamen Salatschneiden, verfolgte sie aus dem Augenwinkel seine Bewegungen und prüfte, ob er das Messer richtig benutzte und nicht eine halbe Gurke ungeschält in die Schüssel warf, und er erzählt ihr von einer Krankenschwester aus Tel Haschomer, die ihn schon zweimal eingeladen hat, mit ihr auszugehen, doch er habe abgelehnt. Warum hast du abgelehnt? Weil. Weil, was? Weil, du weißt schon. Ich weiß nichts, was soll ich wissen? (Doch ihr wurde schon kalt.) Weil sie mich nach dem Kino zu sich nach Hause einladen würde. Und was ist daran schlecht? Verstehst du nicht? Nein, das verstehe ich nicht, hatte sie beinahe geschrien.
    Er schwieg, schnitt weiter. Ist sie nett? fragte Ora beiläufig, während sie eifrig eine Tomate zerkleinerte. Sie ist ganz in Ordnung. Und ist sie hübsch? fragte Ora, geradezu bebend vor Gleichgültigkeit. Ziemlich hübsch, gut gebaut, grad mal neunzehn. Ah, entfuhr es ihr, was ist dannso schlecht daran, wenn du zu ihr nach Hause mitgehst? Ich kann nicht, sagte er und betonte das »kann«, und Ora nahm sich schnell eine Zwiebel, damit sie eine Ausrede für die Tränen hatte, die gleich aufsteigen würden.
    Seit ich zurückgekommen bin, ist das so, ich kann einfach nicht mehr, er lachte spöttisch, tote Hose.
    Kalt und hohl

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