Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Blöckchen gab: wie er es in der Hand wog, es befühlte, daran roch und es mit der Gier eines Kartenspielers schnell durchblätterte, um zu sehen, wie viele Blätter es hatte, wie viel Lust ihn hier erwartete.
Sie stöhnt. Ohne es zu merken, presst sie die Schenkel zusammen, ihr Bauch erregt sich über die unverhohlene Begehrlichkeit, mit der er ihre Blöckchen gehalten hatte, über diese spitze, schamlos offenliegende Gier. Einmal hatte er ihr gesagt, das wird sie nicht vergessen, von jeder Figur, über die er schreibe oder die er erfinde, müsse er erstmal den Körper verstehen, dort fange er an, in ihrem Fleisch, ihrem Speichel, ihrem Schweiß und ihrer Milch, er erspüre das Gewebe ihrer Muskeln und Sehnen, ob sie lange oder kurze Beine hat, wie viele Schritte sie braucht, um so ein Zimmer zu durchqueren, wie sie einem Bus hinterherrennt und wie sehr sich ihr Hintern verkrampft, wenn sie vor dem Spiegel steht, und überhaupt, wie sie geht und wie sie isst und wie sie beim Kacken oder beim Tanzen aussieht, ob sie beim Orgasmus schreit oder züchtig kontrolliert stöhnt, kurz gesagt, alles, was er schreibt, muss für ihn lebendig, konkret und körperlich sein. So! hatte er geschrien, ihr seine hohle Hand hingehalten, eine Geste, die bei jedem anderen grob, plump und billig ausgesehen hätte, bei ihm aber zumindest in diesem Moment ein kleines Becken randvoll Erregung und Begierde war, als umfasse seine Hand eine große, schwere Brust.
Sie quält sich damit, dass sie ihm weh getan hat, erklärt sofort, sie habe nur noch ein paar Zeilen über Ofers Geburt geschrieben, bloß Tatsachen. Für die Geschichtsschreibung, grinst sie angestrengt, und Avram sagt in versöhntem Ton, ah, das ist gut. Und sie, meinst du das wirklich? Er stützt sich auf einen Ellbogen und stochert mit einem Ast in der Glut. Nur gut, wenn es irgendwo aufgeschrieben ist. Da fragt Ora sehr vorsichtig, sag mal, hast du seit damals je etwas geschrieben, in all den Jahren? Und Avram schüttelt schnell den Kopf: Mit den Worten bin ich fertig.
Ich habe für Ofer kein Babyheft angelegt, sagt sie, ich hatte damals nicht den Kopf dafür, mich hinzusetzen und zu schreiben, und hab mich deshalb die ganze Zeit schlecht gefühlt – doch was er gerade gesagthat, breitet sich wie Gift in ihr aus. Wenn er mit den Worten fertig war – wie konnte sie es dann überhaupt wagen, etwas zu schreiben? – Denn wenn man es nicht gleich aufschreibt, erinnert man sich nicht, ich zumindest nicht, und in den ersten Monaten passiert so viel. Das Kind verändert sich mit jeder Minute.
Sie brabbelt weiter, und beide wissen es. Sie versucht zu verwässern, was er eben gesagt hat. Avram schaut konzentriert in die Glut. Sie sieht nur seine Wange, nur ein Auge, aber das funkelt. Sie denkt, genau in diesem Tonfall hat er Ilan gesagt, er wolle keinerlei Kontakt mit dem Leben.
Zum Beispiel, sagt sie nach einem langen Schweigen, erinnere ich mich, dass er sich nie so leicht hingab. Ofer hat sich nicht umarmen lassen. Man konnte ihn nur umarmen, wenn er wirklich wollte. Und so ist er bis heute, fügt sie hinzu, denkt daran, wie vorsichtig er sie in den Arm nimmt, sorgfältig Abstand zu ihrer Brust hält und sich in einem lächerlichen Bogen zu ihr hinunterbeugt. Man könnte meinen! Doch im Grunde war sie als Jugendliche genauso gewesen. Ihr scheuer, immer verlegener Vater hatte sie nur bei seltenen Familienanlässen umarmt – und da hatte sie ihren Körper von ihm weggebogen, dass er sie ja nicht wirklich berührte. Wie sehr sie sich jetzt nach einer vollen und schlichten Umarmung von ihm sehnt, aber dazu ist es zu spät. Vielleicht sollte sie auch das mit ein paar Worten aufschreiben, nur damit eine Erinnerung an diese Körperbewegung von ihr und ihrem Vater der Welt erhalten bliebe.
Nun gut, denkt sie und klappt das Notizbuch zu, das wird ja endlos. Das ist, als ob du mit einem Quast und Tünche durch die Welt gehst.
Und als Baby hat Ofer, erzählt sie Avram, wenn er nicht wollte, dass ich ihn umarme, so eine ruckartige Bewegung gemacht – sie bricht ab und saugt am Ende ihres Kulis. Wie plötzlich alles zu mir zurückkommt, sagt sie verwundert, sonst ist mein Gedächtnis wie ein Sieb.
Ofer war ein Kletterbaby. Ilan hat ihn »Efeu« genannt. Sie erinnert sich mit Wonne. Alles kommt zurück, eine Welle nach der andern wird lebendig, erfüllt auch Ofer mit Leben, irgendwo dort.
Ich hab ihn auf den Arm genommen, erzählt sie, und er fing sofort an, nach oben zu klettern.
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