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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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Zappelte in meinen Händen wie ein Fisch. Er konnte nicht einen Moment da bleiben, wo ich ihn haben wollte.Immer nach oben, hochklettern, noch höher, ich weiß noch, manchmal hat es mich genervt, diese dauernde Bewegung, die Entschiedenheit, als ob er mich nur benutzte, um sofort woandershin oder zu jemand anderem zu gelangen, der interessanter war.
    Sie lacht: Ein bisschen wie du, wenn du etwas wolltest. Wenn du eine neue Idee hattest.
    Avram schweigt.
    Dieser Jagdtrieb bei dir damals, etwa wenn ich dir von jemand Interessantem erzählte, den ich getroffen hatte, oder von einem Gespräch im Bus, da hab ich gleich gesehen, wie sich die Räder bei dir zu drehen anfingen und du geprüft hast, ob das in deine Geschichte, in dein Hörspiel passt, welcher deiner Figuren du den Satz gibst, den ich dir gesagt habe, oder mein Lachen, oder meinen Busen.
    Warum quäle ich ihn bloß mit diesem Gerede, denkt sie, kann aber trotzdem nicht aufhören. Etwas in ihr ist stärker als sie. Als würde ihre Sehnsucht nach ihm plötzlich zu einer merkwürdig entzündlichen Aggression: Oder wie du mich gebeten hast, mich nackt vor dich hinzusetzen, damit du mich malen kannst. Mit Worten, nicht zeichnen. Und ich erinnere mich, wie ich da gesessen habe – mein Gott, ich kann es kaum glauben –, auf dem Balkon, der aufs Wadi hinausgeht. Du wolltest es unbedingt draußen machen, darauf hast du bestanden, weißt du noch? Da sei das Licht gut. Und ich hab natürlich eingewilligt, ich hab damals alles mitgemacht, worum du mich gebeten hast, und hab mich von dir mit Worten malen lassen, auf dem Balkon, das durfte Ilan natürlich, Gott behüte, nicht erfahren, dieses Spielchen, das wir damals spielten, das du mit mir damals gespielt hast, und mit Ilan, deinen parallelen Dimensionen. Und so, gegenüber dem Wadi, nackt, mit den Hirten aus Chussan und aus dem Wadi Fukin, die da vielleicht waren, das hat dich nicht gestört, nichts hat dich gestört, wenn du etwas für dein Schreiben brauchtest, wenn es in dir gebrannt hat – jetzt halt endlich die Klappe, versucht sie sich zu bremsen, was attackierst du ihn so? Was hat dich denn jetzt gestochen? In solchen Dingen gilt Verjährung – und ich, ich schwör dir, ich hatte am ganzen Körper eine Gänsehaut davon, dass du mich in Wörter zerkrümelst. Wie sehr ich das gewollt hab, hast du bestimmt gespürt, und gleichzeitig hab ich mich ausgenutzt gefühlt, als ob du meine intimsten Dinge plünderst,aber ich traute mich nicht, dir das zu sagen, denn man konnte ja nicht mit dir reden, wenn du in diesem Zustand warst – sie wiegt den Kopf gedankenverloren hin und her, und eine brennende, hartnäckige Bitterkeit steigt aus ihrem Rachen in die Nase – dein Despotismus, wenn du eine Idee hattest, wenn du eine Geschichte hattest, da hatte ich sogar ein bisschen Angst vor dir, in diesen Augenblicken sahst du aus wie ein Kannibale, und sogar das liebte ich an dir, dass du dich überhaupt nicht beherrschen konntest und keine Wahl hattest, das hab ich so sehr an dir geliebt.
    Ich wollte dich jedes Jahr so schreiben, brummt Avram plötzlich, und Ora verstummt. Ich hab gedacht, das würde ich über Jahre mit dir machen, über viele Jahre. Fünfzig solche Jahre wollte ich. Seine Stimme ist dumpf und müde, als käme sie aus weiter Ferne. Mein Plan war, einmal im Jahr deinen Körper und dein Gesicht zu beschreiben. Jedes Detail, jede Veränderung an dir, Wort für Wort, unser ganzes gemeinsames Leben lang, auch wenn wir nicht zusammen wären und sogar wenn du die Seine bliebest. Dass du mein Modell sein würdest. Aber mit Worten.
    Sie setzt sich sofort in den Schneidersitz, aufgewühlt von seiner überraschenden, langen Rede, und verscheucht den Gedanken, wie er wohl heute ihren Körper und ihr Gesicht beschreiben würde.
    Im Grunde hab ich es nur zweimal geschafft, stellt er fest. Ora mit zwanzig und Ora mit einundzwanzig.
    Sie erinnert sich nicht an diesen Plan von ihm. Vielleicht hat sie damals gar nichts davon gewusst. Nicht immer war er in der Lage gewesen zu erzählen, was sich in ihm entspann. Manchmal wollte er auch gar nicht. In diesen Augenblicken, bei seinen Anfällen kreativer Brunst, so nannte er das, konnte er meistens bloß ein paar Gedankenfetzen ausstoßen, Satzfetzen, die sich außerhalb seines Kopfes nicht immer miteinander verbinden ließen. Und wenn sie ihn nicht verstand, fing er an, sie schnell zu umkreisen, im Zimmer, draußen auf der Straße, im Bett, auf dem offenen Feld, im Bus, mit

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