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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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durchgeschlafen hat, vier Stunden am Stück ohne Tabletten, kannst du dir das vorstellen? Der Ausflug tut dir gut, sagt sie, die Diät, das Laufen, die frische Luft. Ich fühl mich wirklich nicht schlecht, wundert er sich und wiederholt seine Worte wie einer, der aus sicherem Versteck ein schlafendes Raubtier reizt.
    Hinter ihnen die Trümmer behauener Steine, Reste eines arabischen Dorfes oder eines alten Tempels. Avram, der vor kurzem einen Artikel darüber gesehen hat, denkt, die Art der Behauung stamme aus römischer Zeit, und Ora teilt diese Annahme gern. Ich hab jetzt keine Kraft für die Überreste eines arabischen Dorfes, sagt sie. Doch in einemkurzen Moment der Halluzination setzt sich aus den Steinen der Ruine ein Panzer zusammen, der, durch eine enge Gasse bretternd, als Projektion in ihrem Kopf auftaucht, und bevor er ein parkendes Auto plattwalzt oder eine Häuserwand abrasiert, fuchtelt sie mit den Händen vor ihren Augen und wehrt sich, genug, genug, meine Festplatte ist voll von solchen Bildern.
    Ausladende Pistaziensträucher wiegen sich im sanften Wind. Nicht weit von ihnen ein eingezäunter kleiner Militärstützpunkt, von dem Antennen in den Himmel ragen. Ein gutaussehender äthiopischer Soldat, schwarz wie eine Schachfigur, steht unbeweglich auf einem Aussichtsturm und überblickt das Hulatal zu ihren Füßen, vielleicht schaut er auch mal heimlich zu ihnen rüber, für etwas Abwechslung beim Wacheschieben. Ora streckt sich, lässt den Wind ihre Haut kühlen, und auch Avram streckt die Beine von sich, auf einen Ellbogen gestützt siebt er mit den Fingern die Erde.
    Ofer fragte mich, fährt sie fort, was es zu essen gäbe, und ich sagte, das und das, zum Beispiel Reis, Suppe und Fleischklopse.
    Avrams Mund bewegt sich, ohne dass er es merkt, als kaue er die Wörter. Wie gern hat er gegessen, erinnert sie sich, und auch über Essen geredet, das Essen, der gute Freund des Menschen, und wie gern hatte sie in ihren gemeinsamen Jahren für ihn gekocht. Bei den großen Familienessen, bei den großen Gelagen für Freunde, an Feiertagen, am Sederabend, hatte sie immer auch Avram in Gedanken einen vollen Teller beiseitegestellt, zu gern würde sie ihn jetzt ein bisschen verführen, ihm eine Schüssel mit Auberginen in Tomatensoße unter die Nase halten, ein Lammgericht mit Kokos, vielleicht eine ihrer reichhaltigen Trostsuppen – er weiß ja gar nicht, wie gut sie kocht! Er erinnert sich wohl nur an die angebrannten Töpfe ihrer Studentenwohnung in Nachlaot.
    Ofer fragte mich, woraus Fleischklopse gemacht sind, und ich murmelte irgendwas, das seien so runde Kugeln, aus Fleisch, er dachte noch einen Moment nach und fragte, und was ist Fleisch?
    Avram setzt sich auf, legt die Arme um seine Knie.
    Ehrlich gesagt, seit Ofer sprechen konnte, im Grunde seit wir verstanden, was er für ein Kind ist, hat Ilan immer gesagt, er warte nur auf den Moment, wo Ofer diese Frage stellt.
    Was meinst du mit »was er für ein Kind ist«?
    Warte, immer mit der Ruhe.
    Seit einigen Sekunden nagt etwas in ihr und versucht, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Etwas Nichtabgeschlossenes. Vielleicht ein Wasserhahn zu Hause, ein Licht, das sie vergaß auszumachen? Ein nicht abgeschalteter Computer? Oder ist das Ofer? Stößt ihm gerade etwas zu? Sie horcht in sich hinein, bahnt sich einen Weg zwischen Gefühlen und Ahnungen, aber nein, das ist nicht Ofer. Ihre Gedanken treiben weiter, springen zu dem Mann, den sie am Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, getroffen haben, als sie aus der Schlucht des Nachal Kedesch aufgestiegen waren. Schade, dass wir mit diesem Mann keinen Kaffee getrunken haben, denkt sie. Wenn Avram nicht so nervös gewesen wäre …
    Ora?
    Wo war ich stehngeblieben?
    Dass ihr gesehen habt, was für ein Kind er war.
    Da hab ich zu Ofer gesagt, das sei eben Fleisch. Mit der beiläufigsten Stimme hab ich ihm gesagt, das sei nichts Besonderes, bloß Fleisch, weißt du, wir essen doch fast jeden Tag Fleisch.
    Sie sieht ihn: Der winzige, schwächliche Ofer, ihr zarter Ofer, beginnt, von einem Bein aufs andere zu hüpfen, was er immer tat, wenn er besorgt war oder Angst hatte – sie steht auf und macht es Avram vor –, oder er rieb sich heftig das linke Ohr. So. Oder er lief so seitlich, hin und her, ganz schnell.
    Avram wendet keinen Blick von ihr. Sie setzt sich wieder vor ihn und seufzt, sehnt sich nach diesem Ofer.
    Und ich steckte den Kopf tief in den Kühlschrank, wollte dem Blick ausweichen, den er in diesem

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