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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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hast. Ilan war mir danach furchtbar böse, dass es mir nicht gelungen war, Ofer etwas vorzumachen, und er hat recht gehabt. Er hat wirklich recht gehabt! Ihre Augen glühen: Bei Kindern muss man ab und zu die Ecken etwas abrunden, ihnen etwas verheimlichen und die Tatsachen etwas sanftervermitteln. Das geht nicht anders. Wirklich nicht, und ich … Ich konnte doch nie, ich war niemals in der Lage zu lügen.
    Sie hört plötzlich, was sie sagt.
    Na gut, außer … meint sie verlegen, du weißt schon.
    Avram wagt nicht, es auszusprechen, doch seine Augen buchstabieren die Frage geradezu.
    Weil wir es dir versprochen haben, sagt sie ganz schlicht. Ofer hat keine Ahnung.
    Schweigen. Sie will noch etwas sagen, merkt aber, dass sie nach Jahren des Schweigens, nachdem der große Muskel des Bewusstseins sich so lange verkrampft hat, nicht einmal mit Avram darüber reden kann.
    Aber wie ist das möglich? fragt er fassungslos, und sie kommt durcheinander. Sie meint, einen vorwurfsvollen Unterton zu hören.
    Es ist möglich, flüstert sie. Ilan und ich gemeinsam haben es … Es ist möglich.
    Plötzlich überschwemmt sie die Wärme des Bundes, den sie und Ilan geschlossen haben. Die Wärme, die sich gerade um das Schweigen, um ihr großes Geheimnis, um jenen immer aufgerissenen Graben, noch vertieft hat. Und die Zartheit, die gerade am Rande dieses Grabens bei ihnen erwacht war, die Vorsicht, mit der sie einander dort gehalten hatten, um nicht hineinzufallen, sich aber auch nicht zu weit zu entfernen. Gleichzeitig das bittere Wissen, mit einem Anflug einer ganz besonderen Süße, dass die Geschichte ihres Lebens immer auch in einer Spiegelschrift geschrieben wird, die niemand auf der Welt außer ihnen lesen kann – auch Avram nicht.
    Noch jetzt, denkt sie, sogar nachdem wir so voneinander entfernt sind, haben wir gemeinsam diese eine, absolute Sache.
    Da pressen sich ihre Kiefer zusammen, halten zurück, was sich für einen Moment ans Licht wagen wollte, und danach, kraft beinah zweiundzwanzigjähriger Übung, begibt sie sich sofort wieder auf das gerade, einfache Gleis, von dem sie für einem Moment verschoben worden war. Sie wischt sich die letzten Augenblicke und die Erinnerung an diese unfassbare und so gewaltige Ausnahme ihres Lebens gleichsam von der Seele.
    Wo war ich stehngeblieben?
    In der Küche. Mit Ofer.
    Ja. Und Ofer wurde natürlich immer nervöser, weil ich schwieg, wie ein gepeitschter Kreisel sauste er hin und her, ging auf und ab, redete mit sich selbst, und ich sah, er war noch gar nicht in der Lage, mit Worten zu sagen, was er befürchtete. Zum Schluss, das werd ich nie vergessen, senkte er den Kopf und stand so verkrampft da, ganz und gar in sich verkrümmt – mit einer ganz feinen Bewegung wird Ora in ihrem Körper zu Ofer, bekommt seinen entsetzten Blick. Und Avram sieht: Hier ist Ofer, schau ihn dir an, du siehst ihn, du wirst ihn nie mehr vergessen, du kannst schon jetzt nicht mehr ohne ihn – und er fragte mich, ob es Menschen gäbe, die eine Kuh umbringen, um ihr das Fleisch wegzunehmen, und ich – was sollte ich ihm denn sagen –, ich habe ja gesagt.
    Da rannte er los, raste wie ein Besessener durchs ganze Haus – sie erinnert sich an ein dünnes Weinen, es war nicht seine Stimme; was da aus ihm hervorbrach, war überhaupt keine menschliche Stimme – und er berührte verschiedene Gegenstände, Möbel, Schuhe, die auf dem Boden standen, rannte, schrie und berührte die Schlüssel auf dem Tisch, die Türklinken, ich bekam es mit der Angst zu tun, ehrlich, das sah aus wie eine unbekannte Zeremonie, so als verabschiedete er sich von allem, was …
    Sie schaut Avram sanft an und wird traurig über das, was sie ihm erzählt, und über das, was er gleich noch von ihr hören wird. Jetzt steckt sie ihn wie mit einer Krankheit an, denkt sie, mit dem Schmerz, Kinder großzuziehen.
    Ofer rannte ans Ende des Flurs, da wo die Tür zum Badezimmer ist, weißt du, da wo die Garderobe war, und von dort schrie er: Bringt ihr sie um? Bringt ihr die Kühe um, damit ihr ihnen das Fleisch wegnehmen könnt? Ja? Ja? Und das tut ihr mit Absicht? In diesem Moment begriff ich vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben, was es bedeutet, dass wir lebende Wesen essen, dass wir sie umbringen, um sie zu essen, und wie wir uns selbst dressieren, nicht zu merken, dass auf unserem Teller ein abgetrenntes Hühnerbein liegt. Doch Ofer war nicht in der Lage, sich so zu belügen, verstehst du? Er war absolut ungeschützt, flüstert

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