Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Blautöne des Abendhimmels. Nimm eine Mütze, und tu zwei Zettelchen rein, nein, du brauchst nicht zu wissen, was du da auslost, du darfst raten, aber nur im Stillen, und bitte schnell, diewarten schon auf uns, draußen steht der Command Car, und jetzt zieh einen raus. Hast du gezogen? Was hast du gezogen? Bist du dir sicher?
Ihr Gesicht wirkt im Schatten länger. Sie schließt die Augen. Was war rausgekommen? Was hattest du gewollt, und was war wirklich rausgekommen? Bist du dir sicher? Bist du dir ganz sicher?
Hör mal, sagt sie, ich habe nicht mehr atmen können, du warst mir zu viel. Wieso zu viel, fragt Avram leise, was ist denn zu viel, wenn man liebt?
Dvori und Gideon Schinar aus dem Moschaw Bejtan Aharon. Gideon ( 54 ): »Ich sehne mich nicht nach einem bestimmten Menschen. Ich sehne mich nach einer Zeit – ich habe die Landwirtschaftsschule Kaduri besucht –, erinnere mich an die seelischen Stürme der Kindheit, an die echte Freundschaft, die es da gab. Früher habe ich geglaubt, dass es Freunde gibt, heute – vergiss es.«
Dvori ( 47 ): »Ich sehne mich nach unserer Kindheit, nach dem Eretz Israel von früher. Als wir noch diese Wanderungen vom Mittelmeer zum See Genezareth machten, nicht nur bis zum nächsten Einkaufscenter. Ich bin ursprünglich aus dem Moschaw Nordia, und ich bereue es, dass ich nicht weiterstudiert habe, Hebräische Literatur und Sprache. Ich habe in Bar Ilan studiert, dann hab ich ihn kennengelernt, so kam das erste Kind, das zweite Kind, und dann zogen wir aus, um ›Galiläa jüdisch zu besiedeln‹, wir sind als Pioniere nach Kfar Kisch gegangen, und aus all unseren schönen Plänen ist was ganz anderes geworden. Ich glaube, alle Leute in unserem Alter werden Ihnen eine ähnliche Antwort geben, zumindest was die Reue angeht. Die meisten haben das starke Gefühl, etwas verpasst zu haben.« (Ich frage sie, warum.) »Weil man uns zu früh in diese Bahn gelenkt hat, dass wir uns ganz und gar für die gemeinsame Sache einsetzen, auf die eigenen Wünsche und auf die Selbstverwirklichung verzichten. Sofort heiraten, Kinder kriegen, Arbeit.«
Eine Stunde später traf ich sie wieder. Zufällig.
Gideon sagte: »Hören Sie mal, die zwei Fragen, die Sie da gestellt haben, umfassen das ganze Leben«, und Dvori sagte:«und zerstören es.«
Gideon: »Nachdem wir uns von Ihnen verabschiedet haben, fiel mir ein, dass ich mich vielleicht am meisten nach meinem Bruder sehne. Er war mir Bruder und Freund. Er ist am letzten Tag im Jom-Kippur-Krieg in Suez gefallen, nach dem zweiten Waffenstillstand, bei den Fallschirmspringern. Erwar dreiunddreißig. Können Sie vielleicht Sachen zurückbringen, die schon verloren sind? Haben Sie vielleicht eine Verbindung zu dem da oben?«
Die beiden, Adam und Ofer, die waren so träge, wie lang haben die gebraucht, bis sie eine Freundin fanden, erzählt sie am nächsten Tag, im »Schweizer Wald«. Fast die ganze Zeit waren sie zusammen, wohnten immer zusammen in einem Zimmer, waren nicht bereit, sich zu trennen, bis wir ihnen schließlich, als Adam etwa sechzehn war, getrennte Zimmer gegeben haben. Wir dachten, das wär jetzt wirklich an der Zeit.
Wo habt ihr da noch ein Zimmer untergebracht?
Ein schnelles Aufblitzen in seiner Stimme, und Ora spannt sich an: Nun, da unten, wo dieser Keller war, wo die Singer-Nähmaschine deiner Mutter stand.
Ihr habt den Keller zweigeteilt?
Mit einer Rigipswand, ja. Keine große Sache.
War das nicht zu klein?
Nein, es ist sogar ziemlich hübsch geworden, zwei Zimmerchen, gerade richtig für die Pubertät.
Mit Toilette?
Eine ganz kleine, mit einem winzigen Waschbecken.
Und woher kam die Luft?
Wir haben zwei Fenster in die Wand eingesetzt, eher symbolisch.
Ja, sagte er nachdenklich, natürlich.
Nachdem er seine Operationen, Krankenhausaufenthalte und Behandlungen hinter sich hatte, wollte Avram nicht mehr ins Haus seiner Mutter in Zur Hadassa zurückkehren, noch nicht einmal auf Besuch, und Ilan und Ora kauften ihm, mit Unterstützung von Oras Eltern und Darlehen und Hypotheken, das Haus ab. Sie waren darauf bedacht, es über seinem Wert zu erstehen – sehr viel über seinem Wert, wie Ilan betonte, wenn das Gespräch darauf kam. Sie vollzogen diese Transaktion nach allen Regeln der Kunst mit Hilfe eines Anwalts, der ein alter Freund von Avram war, doch Ora – auch Ilan, obwohl er es immer abstritt – konnte sich diese Torheit, diese Herzlosigkeit nie verzeihen, ihn weiterhin so zu quälen – jetzt hatte sie
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