Eine Frau flieht vor einer Nachricht
sie weiter auf der Spitze der Leiter schwankt.
Er schwieg. Verschmäht und beschämt kam er sich vor.
Verstehst du, was das Problem ist?
Er wiegte den Kopf auf eine Art, die ein Ja und ein Nein bedeuten konnte.
Ganz einfach, sagte Neta, du bist der Mensch meines Lebens, aber ich bin nicht der Mensch deines Lebens.
Neta, du …
Der Mensch deines Lebens ist sie, die Frau, die mit dir ein Kind hat und deren Namen du mir noch nicht einmal verrätst.
Er zog den Kopf ein und schwieg.
Aber schau, sie lächelte und wischte sich die Haarsträhnen aus den Augen, das ist keine besonders originelle Tragödie, und auch kein so großes Problem. Im Leben ist nicht alles so klar umrissen. Ich kann damit leben. Und du?
Er verstummte. Sie bat ihn um so wenig, und noch nicht einmal das Wenige konnte er ihr geben.
Komm, Neta, sagte er und streckte ihr die Hand entgegen.
Aber du denkst noch drüber nach? Ihre Augen hingen sanft und hoffnungsvoll an ihm.
In Ordnung. Und jetzt komm.
Ein Schwarm Spatzen zog flügelraschelnd vorbei. Avram und Neta standen da, jeder in sich selbst versunken.
Was, noch immer nicht? murmelte sie, als hätte sie eine Stimme gehört, ist es noch immer nicht an der Zeit?
Mit zwei schnellen Bewegungen klappte sie die Leiter auf dem Dach zusammen. Schau dich mal an, rief sie überrascht, du zitterst ja am ganzen Leib. Ist es dir kalt da drinnen? In deinem Herzlos?
Am nächsten Tag erzählt Ora ihm von Adam. Sie hätte ihm lieber über Adam von früher erzählt, besonders über Adam als Baby, von den drei Jahren, in denen er nur ihr gehörte. Aber Avram fragt nach Adam heute, und sie beschreibt ihm, ohne etwas zu verhehlen, ihren erstgeborenen Sohn mit den entzündet aussehenden, geröteten Augen, dem schmalen, etwas vorgebeugten Körper und dieser deprimierendenSchlaffheit, mit der er die Schultern hängen lässt. Und auf seinen Lippen dieser Ausdruck von leichtem Abscheu, Spott und ein bisschen nihilistischer Verachtung.
Was sie über ihn sagt, die Tatsache, dass sie in der Lage ist, Adam so zu sehen, erschreckt sie: Ilans objektiver Blick auf die Jungs – jetzt hat sie ihn auch. Jetzt hat sie es gelernt, in einer fremden Sprache über ihn zu sprechen.
Sie skizziert vor Avram einen Gesichtszug nach dem andern, einen vierundzwanzigjährigen Jungen, der gleichzeitig schwach und stark wirkt, der eine stille und beunruhigende Kraft ausstrahlt, die viel stärker ist, als es seinem Alter entspricht. Das ist mir nicht ganz klar, sagt sie zögernd, diese Kraft hat etwas, was du nicht packen kannst, sie ist irgendwie – sie schluckt – düster. Jetzt hab ich es ausgesprochen.
Die Blässe unter seinen von dichten Bartstoppeln dunklen Wangen, seine tiefliegenden schwarzen Augen, der vorstehende Kehlkopf – trotz allem, finde ich, hat er etwas ganz Besonderes, obwohl sein Gesicht nicht gerade, zumindest nicht auf den ersten Blick … Aber in meinen Augen ist er richtig schön, aus bestimmten Perspektiven. Und er hat so merkwürdige Ungereimtheiten im Gesicht, als wirkten in ihm gleichzeitig verschiedene Alter. Es ist für mich so interessant, ihn manchmal einfach nur anzuschauen.
Was ist das für eine Kraft, fragt Avram, wovon redest du da?
Wie soll ich dir das erklären – sie spannt sich innerlich an, jetzt muss sie genau sein –, er ist ein Junge, den man wohl mit nichts überraschen kann. Ja, das ist es. Nicht mit etwas Erfreulichem und nicht mit etwas Traurigem, und auch nicht mit etwas, was furchtbar weh tut, was wirklich entsetzlich ist. Du kannst ihn mit nichts überraschen. Nachdem sie das gesagt hat, weiß sie, dass sie ihn zum ersten Mal wirklich genau beschrieben hat – und er ist geradezu das Gegenteil von ihr. Er hat diese wahnsinnige Kraft, sagt sie, und ihre Stimme wird plötzlich leise, die Kraft der Verachtung.
Zwei seiner Auftritte hat sie gesehen, zu einem hat er sie eingeladen, den anderen hat sie heimlich besucht, nachdem er sich von ihr geschieden hatte – da richten sich Dutzende Gesichter junger Männer und Frauen in den gleißenden, aus allen Richtungen auf sie niederprasselnden Lichtgarben auf ihn, und alle lassen sich mit geschlossenenAugen in seine apathische, etwas krankhafte Schlaffheit hineinziehen, aus sich selbst heraus in ihn hinein. Du müsstest sie sehen. Wie … ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, es gibt keinen Vergleich.
Avram stellt sich ein Feld albinobleicher Sonnenblumen zur Stunde der Mondfinsternis vor.
Auf dem Plateau des Berges Arbel,
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