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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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Aschenbecher ausschütten, leere Flaschen wegwerfen. Doch von irgendetwas war sie so erschöpft, dass sie auf jedem Bett im Haus einschlief, sie sank einfach zusammen und schlief ein; irgendwie kroch sie, ohne dass wir es merkten, schlafend in unser Leben, und jetzt sind Adam und sie zusammen, und ich glaube, es geht ihnen gut, denn so sehr Libi ein Bärenbaby ist, ihm gegenüber ist sieauch sehr mütterlich, sagt Ora, und eine leichte Traurigkeit mischt sich in ihre Stimme. Ich glaube, es geht ihm wirklich gut mit ihr, das hoffe ich zumindest.
    An dieser Stelle erlaubt sie sich einen tiefen Seufzer, der in ihr gefangen ist, den Seufzer einer Bankrotterklärung: Weißt du, das war nicht einfach so dahingesagt, vor ein paar Tagen. Ich habe wirklich überhaupt keine Ahnung, was jetzt in seinem Leben passiert.
    Die Hündin hört den Seufzer, bleibt stehen und kommt zu ihr. Ora zieht sich ihre feuchte spitze Schnauze zwischen die Oberschenkel. Über den Kopf der Hündin hinweg sagt sie zu Avram: Wenn ich ein Wort oder irgendetwas in einer anderen Melodie sage …
    Oder wenn du plötzlich lachst …
    Oder wenn ich weine …
    Dann reagiert sie sofort, sagt Avram.
    Gestern, als du die Fliegen mit dem Handtuch vertrieben hast, das hat sie deprimiert. Woran hat dich das erinnert, meine Süße, fragt sie die Hündin und krault den Kopf, der sich an sie schmiegt, von woher bist du zu uns gekommen?
    Sie hockt sich hin, hält den Kopf der Hündin mit beiden Händen und reibt ihre Nase an deren Schnauze: Was hast du erlebt? Was haben sie mit dir gemacht? Avram schaut die beiden an. Das Licht verstärkt den Silberglanz von Oras Haar und strahlt auf dem Fell der Hündin.
    Mit Adam hast du gar keinen Kontakt? fragt er, als sie weitergehen.
    Er hat alle Fäden abgeschnitten.
    Avram schweigt.
    Da war so eine Sache, murmelt sie, nicht mit ihm, sondern mit Ofer, da ist seiner Einheit in Hebron was Saublödes passiert – keiner ist dabei umgekommen, und Ofer war auch nicht Schuld, und wenn, dann bestimmt nicht er allein, immerhin waren zwanzig Soldaten mit dabei, warum ausgerechnet er? Egal, nicht jetzt, ich habe da einen Fehler gemacht, ich weiß, und Adam war mir sehr böse, dass ich nicht zu Ofer gestanden hab – sie holt tief Luft und skandiert nacheinander die Wörter, die ihr seitdem das Leben verbittern: dass ich Ofer nicht rückhaltlos unterstützen konnte. Verstehst du? Verstehst du, wie absurd das ist? Denn mit Ofer hab ich das längst geklärt, zwischen uns ist alleswieder in Ordnung, bloß Adam mit seinen verdammten Grundsätzen verzeiht mir das bis heute nicht.
    Avram fragt nicht weiter. Ihr Herz schlägt bis zum Hals. War es gut, ihm das zu erzählen? Sie hätte es ihm längst erzählen müssen. Sie fürchtet sich vor seinem Urteil, vielleicht denkt auch er, wie Adam, dass sie keine richtige Mutter ist.

    Umarmen sie sich? fragt Avram.
    Was hast du gesagt? sie schreckt aus einem Sekundentraum auf.
    Nichts, nichts weiter. Avram macht erschrocken einen Rückzieher.
    Nein, hast du gefragt, ob sie …
    Ob sie sich manchmal umarmen, Ofer und Adam …
    Sie schaut ihn dankbar an: Warum fragst du?
    Was weiß ich? Ich versuche, sie mir ein bisschen vorzustellen, wie sie zusammen so sind. Das ist alles.
    Das ist alles? Sie könnte jubeln, das ist alles?

    Sie sind schon sehr weit gelaufen. Sind in der Moschawa Kinneret vorbeigekommen, haben ihre Vorräte aufgefüllt, den Friedhof von Kinneret besucht, in dem Gedichtband der Dichterin Rachel geblättert, der an einer Eisenkette neben ihrem Grabstein liegt, sie haben die Straße Tiberias–Zemach überquert, sind durch die Dattelplantagen gegangen und haben der Mauleselin »Buba« die letzte Ehre erwiesen, die in den 20 er und 30 er Jahren des 20 . Jahrhunderts getreulich die Ländereien der Moschawa Kinneret gepflügt hat und dicht am Jordan begraben liegt; sie haben Pilger aus Peru und Japan gesehen, die tanzend und singend im Jordan untertauchten, und waren ein ganzes Stück zwischen dem klaren Jordan und einem stinkenden Abwasserkanal entlanggelaufen, bis der Weg sie vom Jordan weg in den Nachal Jawneel führte, und in Ejn Petel gönnten sie sich ein königliches Frühstück im Schatten von Eukalyptusbäumen und Oleanderbüschen, und sie sahen den Berg Tabor schon vor Augen und wussten, auch dahin würden sie kommen.
    Der Tag ist sehr heiß, und sie erfrischen sich mal an einer Quelle, mal unter riesigen Wassersprengern auf den Feldern, werden von Himbeersträuchern zerkratzt,

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