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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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Blick größer und schöner, sogar die dümmsten und hässlichsten Mädchen, vor allem solche, die ihn verachteten und ihn quälten. Weiß du noch …, fängt sie an, und er zuckt verlegen mit den Schultern, natürlich erinnere er sich noch, aber lass das jetzt; und sie denkt, was hat er nicht alles gemacht, um zu bezaubern, zu verführen, wie hat er seinen innersten Kern freigelegt, sich ereifert, erniedrigt, zum Wurm gemacht und schließlich sich selbst lächerlich gemacht, wenn er ihr davon erzählte: Was bin ich? Nicht mehr als eine hormonelle Gärungsbakterie?! Und noch heute, dreißig Jahre später, wagt er es, mit ihr zu streiten: Das war alles nur, weil du mich nicht wolltest, wenn du sofort ja gesagt hättest, wenn du mich nicht fünf Jahre lang gequält hättest, bevor du ja gesagt hast, hätte ich diesen ganzen Unsinn nicht machen müssen.
    Sie stützt sich auf die Ellbogen: Ich hab dich nicht gewollt? – Nicht so, wie ich dich wollte. Ilan wolltest du mehr, mich nur als Gewürz dazu. Das stimmt nicht, murmelt sie leise, wirklich nicht, das war viel komplizierter. Du wolltest mich nicht, du hattest Angst. Wovor soll ich Angst gehabt haben? Sie schreckt zurück, zwinkert verlegen. Du hast Angst gehabt, Ora, Tatsache ist, dass du mich zum Schluss aufgegeben hast, du hast mich aufgegeben, gib’s zu.
    Beide schweigen gekränkt. Ihr Gesicht brennt. Was sagst du ihm? Noch nicht mal sich selbst konnte sie es damals erklären. Hatte sie nicht in dem Jahr, als sie mit ihm zusammen war, manchmal das Gefühl gehabt, dass er in so einer Vielzahl wie eine ganze Armee durch sie hindurchströmte? Was sollte sie ihm sagen? Wo sie doch selbst nicht immer davon überzeugt war, dass wirklich sie es war, die in ihm diesen Liebessturm auslöste, vielleicht war es ein anderes Mädchen, über das er mal phantasiert hat und über das er ununterbrochen, mit all seiner Vorstellungskraft, weiter phantasierte? Sie hatte ihn auch im Verdacht, dass er, da er sich nun mal überstürzt in sie verliebt hatte, in einem Augenblick des Wahns, im Krankenhaus auf der Isolierstation, nie im Leben würde zugeben können, dass sie nicht zu ihm passte. In seiner merkwürdigen Ritterlichkeit, die an Don Quichotte erinnerte, würdeer diesen einmal gefassten Entschluss niemals revidieren. Doch wie sollte sie ihm das sagen? Noch nicht einmal vor sich selbst hatte sie es bisher gewagt, das einzugestehen. Und manchmal fühlte sie sich noch viel elender, wie eine Schneiderpuppe, der er immer und immer wieder andere bunte Kleider anzog, was ihre Saftlosigkeit, ihre Beschränktheit und Engstirnigkeit nur noch mehr hervorhob. Doch jedes Mal, wenn sie ihm, traurig und unglücklich, auch nur ein bisschen von dem mitteilte, was sie empfand, reagierte er zutiefst beleidigt und konnte nicht verstehen, wie wenig sie sich selbst und ihn kannte und wie sie das Schönste, was er je im Leben erlebt hatte, so verletzen konnte.
    Warum musste bei ihm alles übertrieben sein, und warum immer so wahnsinnig intensiv, hatte sie sich manchmal gefragt und sich gleich dafür geschämt weil sie sich an jenes Mädchen erinnerte, das mal aus seinem Bett floh, weil er ihr »zu intim« war. Auch sie hatte ab und zu das Gefühl gehabt, dass er, wenn er vor lauter Liebe und Begierde in ihren Körper und ihre Seele eindrang und dort wie ein großes Raubtierbaby tobte, gar nicht ahnte, wie sehr er ihr weh tat und sie zerriss. Oder wenn er ihr so in die Augen schaute … Was dann in seinem Blick lag, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Das geschah nicht unbedingt in Augenblicken der Begierde, meistens kam es danach. Dann schaute er sie so schutzlos liebend an, war ihr völlig unterworfen, beinahe verrückt, und sie stupste seine Nase oder kicherte, oder schnitt ihm komische Gesichter, doch er schien ihre Verlegenheit nicht zu spüren, und sein Gesicht bekam einen merkwürdigen Ausdruck, sehnte sich nach etwas, was sie nicht verstand. Für einen langen Augenblick tauchte er in ihre Augen ein, er war wie ein großer Körper, der in dunkles Wasser eintauchte und während des Schauens versank; und es war, als schlössen sich ihre Augen über ihm, deckten ihn in sich zu, als schützten sie ihn auch vor ihr selbst. Sie wusste nicht, was sie ihm da gab und was sie von ihm bekam.
    Ich konnte nicht mit dir zusammensein, sagt sie ihm schlicht.
    Die Sonne geht langsam unter. Die Erde gibt plötzlich einen frischen Duft ab. Ora und Avram liegen ruhig auf dem Feld. Über ihnen mischen sich die

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