Eine Frau flieht vor einer Nachricht
man durch ein Nachtsichtgerät sieht, wie Nebel, umgeben von einem flaumigen grünlichen Schein, einer klebt am anderen, und sie bewegen sich in einem unförmigen Miteinander; wenn sie sich für einen Augenblick voneinander trennen, hinterlassen sie in dem Lichtfleck kleine Büschel feiner leuchtender Fasern. Zu seinem großen Erstaunen spürt er bei ihnen eine stetige Anstrengung, immer sind sie angespannt, vorsichtig, sie haben keine Leichtigkeit, nichts Vergnügliches,auch nicht die Freude des gemeinsamen Lebens, die er sich immer vorgestellt hatte, wenn er an sie dachte, wenn er den Gedanken an sie erlag, wenn das Gift der Gedanken an sie langsam in seine Venen tropfte.
Und als Ofer eine Freundin hatte, fragt er zögernd, war Adam da nicht eifersüchtig?
Am Anfang fiel ihm das nicht leicht, ja, es schmerzte ihn, dass Ofer eine neue nahe Seele gefunden und mit ihr eine so enge Beziehung hatte, zu der er nicht dazugehörte. Du musst bedenken, das geschah im Grunde zum ersten Mal seit Ofers Geburt.
Sie waren ein nettes Paar, sagt sie, Ofer und Talia, sie hatten so etwas Zartes im Umgang miteinander.
Es fällt ihr schwer zu reden.
Ein andermal, sagt sie, winkt ab.
Als Talia Ofer verließ, fährt Ora später fort, hat er sich auf sein Bett gelegt und ist eine Woche lang fast nicht aufgestanden. Er hat nicht mehr gegessen, hat völlig den Appetit verloren, nur noch getrunken, vor allem Bier, und Freunde kamen ihn besuchen, auf einmal sahen wir, wie viele Freunde er hat, und so hielten wir, ganz ungeplant, bei uns Zuhause eine Art Trauerwoche ab.
Eine Trauerwoche? fragt Avram erschrocken.
Ja, sie saßen um sein Bett und versuchten, ihn zu trösten, und wenn die einen gingen, kamen andere, die Tür war die ganze Woche offen, von morgens bis abends und auch nachts, und er bat seine Freunde immer wieder, sie sollten ihm von Talia erzählen, alles, woran sie sich erinnerten, mit allen Einzelheiten, und übrigens durfte keiner ein schlechtes Wort über sie sagen, nur gute Sachen, er ist so eine gute Seele, sagt sie und schaut Avram mit großen Augen an, und ich hab dir von ihm noch gar nichts erzählt, du hast noch gar nicht angefangen, ihn kennenzulernen … Plötzlich überschwemmt sie eine Sehnsucht, eine gierige, Sehnsucht, ohne jede Vorsicht, sie hat ihn schon so lange nicht mehr gesehen und nicht mit ihm gesprochen, wohl die längste Zeit, seit sie ihn geboren hat; seine Kumpel spielten ihm Lieder vor, die Talia mochte, und ließen auf dem Video endlos Mein Essen mit André laufen, das sie mochte, und verdrückten große Tüten Erdnussflips und Schokoladenwaffeln, ohne die Talia keinen Abend überlebenkonnte, eine Woche ging das so. Und ich hab die ganzen Sippe natürlich verpflegen müssen, du kannst dir nicht vorstellen, welche Mengen Bier seine Kumpel an einem Abend runterkippen. Aber das kennst du ja aus dem Pub.
Vielleicht, denkt sie, sind Ofer oder Adam oder sie beide mal bei einer ihrer Kneipentouren in Tel Aviv, bei einem Urlaub vom Militär, in seinem Pub gelandet; hätte er sie irgendwie erkennen können? Eine Ahnung? Dass sich einem plötzlich die Härchen im Nacken aufstellen?
Ora?
Ja, sie schaut versonnen vor sich hin, weißt du, anscheinend wurde das in der Stadt so ein Thema – wie alles, was Ofer anfängt, aber das sagt sie nicht –, denn dann kamen auch Leute, die Ofer nicht wirklich kannten, nur gehört hatten, dass diese Sache bei uns stattfand, so eine Trauerwoche für eine verflossene Liebe, und sie kamen und setzten sich dazu und erzählten von ihren eigenen enttäuschten Lieben und von allem möglichen Liebeskummer, den sie selbst erlebt hatten.
Ein Nachmittagssonnenstrahl gleitet über ihre Stirn, und Ora hält ihm wohlig ihre Wange hin, reibt sie an ihm, rauf und runter. Jung und schön ist ihr Gesicht jetzt, als wäre ihr noch nichts Schlimmes widerfahren, als könnte sie aufstehen und einfach naiv und rein in ihr Leben loslaufen.
Später kamen dann die Freunde dieser Freunde, und danach sogar Leute, die keiner kannte, die es schlicht spannend fanden, vorbeizukommen und über ihre Nöte in Sachen Liebe zu reden. Und dabei traf Adam Libi, die dann seine Freundin wurde, so eine Art großes Tierbaby, ein Heimatlosentierbaby, einen Kopf größer als er, ein Bärenkind. Während der ersten Tage der Trauerwoche hatte sie in der entferntesten Ecke des Zimmers gesessen und ununterbrochen geweint, dann raffte sie sich auf und half mir mit dem Essen, mit den Getränken und dem Geschirr,
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