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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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zögernd vorschlägt: Vielleicht bestellen wir für uns vier zusammen nur drei Hauptgänge, mehr schaffen wir doch nicht, und sie streiten mit ihr, so als wäre ihr Vorschlag eine Beleidigung ihres Appetits, vielleicht sogar ihrer Männlichkeit, und zum Schluss bestellen sie natürlich vier Hauptgerichte und essen noch nicht einmal drei davon. Und Adam bestellt einen entsetzlich teuren Aperitif, wozu muss er so viel trinken, ein kurzer Blickwechsel mit Ilan – lass ihn, lass ihn doch heut Abend, den geb ich aus –, und als die Kellnerinmit der Bestellung zurück in die Küche geht, macht sich plötzlich eine zerstörerische Stille breit, und die drei Männer schauen auf ihre Fingerspitzen, betrachten eine Gabel oder ein philosophisches Problem, ein abstraktes, erhabenes, vielleicht sogar existenzielles Problem.
    Und Ora weiß doch, dass gleich alles in Ordnung, mehr als in Ordnung, sogar richtig gut sein wird, denn die Jungs mögen Restaurants, sie gehen gern mit Ilan und ihr essen – und überhaupt sind sie ein prima Team zu viert; gleich erzählen sie Witze, dann kommt das Gelächter, danach die Wellen der Zuneigung, nur noch ein Augenblick, dann wird sie diesen seltenen, geheimnisvollen Moment familiären Glücks genießen können … Das gibt es seltener, als du vielleicht denkst, sagt sie zu Avram, dass vollständiges Glück und Familie zusammengehen; aber davor kommt immer dieser beschissene Moment, unvermeidlich wie eine Gebühr, die alle drei von ihr auf ihrem Weg zu ebendieser Süße verlangen. Die sich wiederholende qualvolle Zeremonie richtet sich, so ihr Eindruck, einzig und allein gegen sie, denn sie löst diese Zeremonie aus; und gerade weil ihre Männer spüren, wie sehr sie sich nach dieser Süße verzehrt, sind sie so versessen darauf, sie ihr vorzuenthalten oder ihr zumindest den Weg dahin ein bisschen zu erschweren. Frag mich nicht, warum, das musst du sie fragen, sie sieht sie alle drei vor sich, jeder mit seinen Fingerspitzen, mit seiner Lust, sie ein bisschen zappeln zu lassen, dieser Versuchung können sie nicht widerstehen, auch Ilan nicht. Früher war er nicht so, rutscht es ihr heraus, obwohl sie etwas ganz anderes sagen wollte, früher waren sie und er sich wirklich einig – ein Fleisch, sagt sie beinah –, und wenn es sein musste, bildeten sie gegenüber den Kindern auch eine Front. Da war er ein echter Partner, und erst in den letzten Jahren – ich versteh’s einfach nicht, eine späte Wut brodelt in ihr –, seit die Jungs in die Pubertät gekommen sind, begann etwas zu knirschen, als hätte er beschlossen, dass auch er jetzt eine Zeit der Pubertät verdient habe.
    Wenn sie jetzt darüber nachdenkt, muss sie zugeben, dass sie in den letzten Jahren, und vor allem im letzten Jahr, kurz vor ihrer Trennung, tatsächlich ein ums andere Mal drei revoltierenden, trotzigen und zornigen Pubertierenden gegenüberstand – immer waren die Klobrillen hochgeklappt, ein aufgerichteter Protest –, wenn sie bloß gewusst hätte, was in ihrem Verhalten diese Reaktion provoziert, diesen idiotischenDrang ihr gegenüber, sich von einer Minute zur andern in Gegner zu verwandeln, und warum war es, verdammt nochmal, immer, zum Beispiel im Restaurant, ihre Aufgabe, sie aus diesem Schweigen zu befreien? Vielleicht sollte sie sich einfach der ernsthaften Betrachtung der Fingerspitzen anschließen und dabei im Stillen ein langes, besonders kompliziertes Lied summen, bis einer von ihnen aufgibt? Höchstwahrscheinlich würde das Ofer sein, das weiß sie, sein Gefühl, dass es unfair ist, seine natürliche Barmherzigkeit, würden aufschreien, und der Drang, sie zu beschützen, würde bei ihm schließlich stärker sein, als die Wonne, zu ihnen zu gehören, und sofort hat sie Mitleid mit ihm, warum soll sie ihn bei seinen Männerspielen zum Straucheln bringen, ist es da nicht besser, wenn sie nachgibt und nicht er?
    Wieder meldet sich das alte Thema: Wenn sie eine Tochter hätte. Ein Mädchen würde sie wieder zusammenbringen, mittels seiner Fröhlichkeit, Einfachheit, Leichtigkeit, all dem, was Ora früher besaß, aber verloren hat. Denn Ora war ja mal ein Mädchen gewesen, vielleicht nicht so fröhlich und leicht, wie sie gern gewesen wäre, aber sie hatte sich sehr bemüht, immer fröhlich, immer strahlend zu sein, so wie das Mädchen, das sie nicht geboren hat. Sie erinnert sich gut, sagt sie zu Avram, an das plötzlich aufkommende feindliche Schweigen, das sich immer wieder zwischen ihren Eltern

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