Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Hebräisch? brummt Avram, dass die Sprache aus der Erde wächst? Und schon erfindet er für sie eine Geschichte, wie hier einst die Wörter aus dem Boden sprossen, wie sie aus den trockenen Rissen der Erde schossen, mit Disteln und Dornen aus dem Zorn heißer Chamssinwinde schlüpften und wie Laubheuschrecken und Zikaden herumhüpften.
Ora hört seinen Redefluss. Tief in ihr bewegt ein erstarrtes Fischchen seinen Schwanz ganz sacht, und der leise Wellenschlag erreicht sie.
Interessant, wie das auf Arabisch klingt, überlegt sie sich später, das ist ja auch deren Landschaft, auch sie haben diese röchelnden Konsonanten, so als ersticke die Kehle an der Dürre des Landes. Sie macht es vor, und die Hündin stellt interessiert die Ohren auf, sag mal, Avram, erinnerst du dich noch an die arabischen Wörter für diese ganzen Dornen und Disteln, oder hat man euch das beim Nachrichtendienst nicht beigebracht? Und Avram meint trocken, wir hatten es da vor allem mit Panzern, Flugzeugen und Granaten; über Disteln hat da irgendwie nie einer gesprochen.
Das ist ein Fehler, ein großer Fehler, stellt Ora fest.
Ob sie sich umarmen, hat er gefragt, und sie erinnert sich, das ist noch gar nicht lange her, etwa ein Jahr, da saßen sie an Adams Geburtstag im Restaurant, in so einem neuen in einem Moschaw nicht weit von Jerusalem, zwischen Feldern und leeren Hühnerställen, etwas zu schick für meinen Geschmack, sagt sie. Und da kommt ihr der Gedanke, dass Avram, auch wenn er in einem Pub, in dem indischen Restaurant und wer weiß, wo sonst noch überall gearbeitet hat, vielleicht gar nicht weiß, wie so eine Familienunternehmung funktioniert, er ist so ahnungslos. Und deshalb hält sie inne und berichtet zunächst, wie man bei ihnen in der Familie das passende Restaurant auswählt, denn Adam ist ja ein derart verwöhnter Feinschmecker, dass man erst mal per Telefon recherchieren muss, ob es da für ihn etwas zu essen gibt, einen Gang nach dem andern. Wenn das Lokal ausgewählt ist und man dort angekommen ist und Platz genommen hat – das Hinsetzen selbst, unterbricht sie sich wieder, unsere allgemeine Politik der Sitzordnung, du kannst dir das Manöver gar nicht vorstellen –, zugegeben, für eine einfache Familie sind wir schon ziemlich kompliziert. Sie erzählt weiter, und Avram sieht sie alle vor sich: Zuerst Ilan: Er sucht den besten Tisch im Raum, weit genug von den Toiletten und der Küche entfernt, passend beleuchtet, nicht zu grell, nicht zu dunkel, möglichst ruhig, und er selbst muss mit dem Gesicht zum Eingang sitzen, um jede Gefahr, die seine kleine Familie bedrohen könnte, rechtzeitig zu erkennen – damals war die Welle der Selbstmordanschlägeauf ihrem Höhepunkt, erinnert sie ihn, und er brummt, wann war das je anders –, und Adam, der so weit wie möglich am Rand sitzen muss, beinah versteckt, mit dem Rücken zu allen anderen Gästen; und Ofer ist da genau wie ich, dem ist das alles egal, der sitzt überall gern, solange das Essen gut und reichlich ist; und sie selbst hat es natürlich gern intim, gibt andererseits aber auch gern ein bisschen mit ihrer Familie an.
Wenn sie also alle ihren Platz gefunden haben, beginnt die nächste Phase, die Auswahl aus der Speisekarte. Adam wird von der Kellnerin sofort als »problematisch« erkannt, als einer, der mit seinen genauen Anweisungen den reibungslosen Ablauf des Restaurants stört, nichts, was Sahne enthält, könnte das nicht auch in Butter gebraten werden? Enthält einer der Dips etwa in irgendeiner Form Auberginen oder Avocado? –, und Ilan und seine Witzchen mit der Kellnerin, immer wieder wundert sich Ora darüber, dass er völlig blind dafür ist, dass die armen Mädchen, egal in welchem Alter, einen mittelschweren Schwächeanfall bekommen, wenn er sie mit dem leuchtenden arktischen Grün seiner Augen anschaut; und Oras ganz persönlicher Kampf mit ihrem Blick, den es immer auf den Preis zieht, da führt sie ganz private Verhandlungen zwischen ihrer Esslust und ihrer Sparsamkeit – na los, denkt sie, erzähl es ihm, mit allen Peinlichkeiten –, bei ihr ist es der pure Geiz, ganz eindeutig, jetzt hat sie es zugegeben, irgendwie kann sie Avram gegenüber leichter zugeben, was sie Ilan all die Jahre vorenthalten hat.
Wo war ich stehen geblieben? seufzt sie.
Beim Geiz, bezeugt Avram mit erfrischender Bösartigkeit.
Ja, ja, benutz das ruhig gegen mich, zum Wohl! ein Funke fliegt zwischen ihren und seinen Augen hin und her.
Und immer ist sie es, die
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