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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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was? Ilan nickte und rieb seine Schulter an Ofers Schulter. Ora hatte die Spielregeln noch nicht verstanden, und was sie nicht verstand, mochte sie nicht. Sie wollte zurück zu dem, was Ofer angefangen hatte Adam zu sagen.
    Und wer gewinnt? fragte Ilan.
    Wer den Lehrer mit seinen Fragen dazu bringt, die meisten Wörter von der Liste zu sagen.
    Aha, nickte Ilan, ich verstehe. Jetzt sag mir noch ein Beispiel, wie du ihn dazu kriegst, so ein Wort zu sagen.
    Aber Ofer war gerade dabei, Adam etwas zu sagen.
    Moment, Mama, jauchzte Ofer, das ist wirklich Spitze: Los, sag ein Wort, Bruderherz.
    Sag du eins, brummte Adam.
    Aber ohne dass ich es höre, ich bin der Lehrer.
    Die Jungen steckten die Köpfe zusammen, flüsterten, lachten, einigten sich.
    Und es ist eine Geschichtsstunde, fügte Adam hinzu, das erschwert die Sache.
    Dann besprechen wir jetzt die Dreyfusaffäre, beschloss Ilan, daran kann ich mich noch ganz gut erinnern.
    Ilan erzählte von dem jüdisch-französischen Offizier, der des Verrats bezichtigt wurde, und Ofer und Adam bombardierten ihn sofort mit Fragen. Er erzählte von dem Gerichtsverfahren, wie man jene, die Dreyfus verteidigen wollten, mundtot gemacht habe, dass man ihn für schuldig befunden habe. Doch sie interessierten sich mehr für die Familie von Dreyfus, für ihre Bräuche, was sie so anzogen und was sie aßen. Ilan blieb bei seinem Vortragskonzept und tappte in keine Falle. Zur Zeremonie der öffentlichen Degradierung von Dreyfus erschien auch Theodor Herzl. Jetzt wurden ihre Fragen drängender. Ora lehnte sich zurück und betrachtete sie, und alle drei spürten, dass sie sie beobachtete,und legten noch einen Gang zu. Dreyfus wurde auf die Teufelsinsel verbannt, Emile Zola schrieb sein »Ich klage an«, Esterházy wurde als der wahre Verräter erkannt, gefangen genommen und vor Gericht gestellt, und Dreyfus wurde schließlich freigelassen, doch Herzl interessierte die Jungs weitaus mehr. Der Judenstaat wurde gedruckt, danach kamen Herzls Treffen mit der türkischen Regierung und mit dem deutschen Kaiser. Ilan beugte sich vor, leckte sich die Oberlippe, und seine Augen leuchteten. Und die Jungs bestürmten ihn von beiden Seiten, umkreisten ihn wie zwei junge Wölfe einen Büffel. Ora ließ sich mitreißen und war auch schon ganz aufgeregt, obwohl sie nicht wirklich wusste, wen sie sich als Sieger wünschte. Wohl eher die Söhne, doch etwas in ihr zog sich zusammen, als sie die wilde Glut auf ihren Gesichtern bemerkte, und sie bekam Mitleid mit Ilan, als sie sah, wie grau seine Schläfen schon waren. Der Erste Zionistenkongress trat in Basel zusammen, Altneuland erschien. England machte den Vorschlag, den Zionisten ein großes Stück Land in Uganda »in einem der Gesundheit der Weißen zuträglichen Klima« zuzuteilen, erinnerte Ilan sich aus seiner Gymnasialzeit, und Adam fragte, wie die Dinge wohl aussehen würden, wenn dieser Vorschlag angenommen worden wäre, ganz Afrika wäre nach der Ankunft der Juden plötzlicher von Hast und Fieber heimgesucht worden, die Juden dort hätten mit ihrer hyperaktiven Nervosität gebrodelt und alles in Gärung versetzt; und ihr könnt sicher sein, sagte Ilan, innerhalb von anderthalb Minuten wäre dort ein tief verwurzelter Antisemitismus entflammt. Und dann hätten wir Tansania erobern müssen – und Kenia und Sambia, lachte Ofer –, natürlich bloß, um uns vor deren Hass zu schützen; und auch um ihnen ein bisschen Liebe zu Israel und Jüdischkeit mit Hühnersuppe beizubringen, rief Adam und kugelte sich vor Lachen. Ganz zu schweigen von der Liebe zu Gefilte Fisch , sagte Ilan grinsend, und die Jungs sprangen auf und jubelten: Bingo!

    Die Hauptgerichte wurden aufgetragen. Ora erinnert sich an jedes Gericht, das an diesem Abend auf den Tisch kam, Adams Filetsteak, Ilans Gänsekeule, das Beefsteak Tatar, das Ofer verschlang. Sie erinnert sich, wie es ihre Blicke immer wieder zu diesem rohen Fleisch zog und sie sich nach jener Zeit, als er Vegetarier war, zurücksehnte, überhauptnach dem vegetarischen Ofer. In den Wochen und Monaten danach, in den durchwachten Nächten und den schlafwandlerisch durchlebten Tagen, in denen sie die Ereignisse jenes Abends Schritt für Schritt für sich rekonstruierte, fragte sie sich mehr als einmal, was Ofer wohl durch den Kopf gegangen war, als er sein Steak aß, oder während dieses Bingospiels, ob er sich dabei wirklich an nichts erinnerte – sie hatten doch ausdrücklich von Besatzung und Hass gesprochen, im Grunde

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