Eine Frau flieht vor einer Nachricht
ihm gegangen, sagt Ora, du hättest es genauso gemacht. So eine heroische Tat.
Da bin ich mir nicht sicher, sagt er mit zusammengebissenen Zähnen.
Nicht nur das, Avram. Gerade aufgrund all dessen, was er über die Jahre von dir gelernt hat, wusste er, dass man das machen kann.
Die Szenen aus jener Nacht, an die Ilan sich noch erinnerte, hatte er ihr ein einziges Mal erzählt. An jenem Morgen hatte er sie plötzlich, wie im Schlaf, von hinten umarmt, hatte sie zwischen seinen Armen und Beinen festgehalten und diese Geschichte in Krämpfen in sie entleert, wie im Schlaf. Jetzt war sie an der Reihe, dasselbe mit Avram zu tun. Sie hatte nicht vorgehabt, es ihm zu erzählen, Ilan hatte sie beschworen, ihm nie im Leben und unter keinen Umständen davon zu erzählen, aber vielleicht hatte auch Ilan, kurz bevor Ofer zur Welt kam, nicht gedacht, dass diese Geschichte jemals so aus ihm herausbrechen würde.
Aber mit den Geheimnissen ist es jetzt endlich vorbei.
Ilan ging. Es wurde hell, ab und zu musste er sich hinter kleinen Büschen oder in den schattigen Abhängen der Dünen verstecken. Seine Nase und seine Augen waren voll Sand. Seine Zähne knirschten. Ein Schreibstubenhengst von der Nachrichtendienstabteilung, sagt sie, mit einem alten S.K.S. Gewehr, ohne Munition, ohne Ausrüstungsweste, mit einer einzigen Wasserflasche.
In einem Wadi legte er sich hin, um auszuruhen, und er war wohl eingeschlafen, denn als er die Augen aufschlug, saß neben ihm ein junger Mann mit Brille und machte ihm ein Zeichen, nicht zu reden. Ein Panzersoldat der Brigade 401, dessen Panzer getroffen und dessen restliche Besatzung umgekommen war; er hatte sich tot gestellt und so überlebt, als die Ägypter den Panzer plünderten.
So liefen die beiden mit einer Wasserflasche und einer zerrissenen Karte mehrere Stunden lang aus Angst vor den ägyptischen Kommandoeinheiten geräuschlos weiter, bis sie den Kanal erreichten und eine israelische Flagge sahen, zwar zerschlissen, aber sie wehte immerhin auf dem beschädigten Dach des Postens Chamama .
Während sie erzählt, bewegt Avram in unglaublicher Schnelligkeit seine Finger, lässt den Daumen über die Fingerkuppen rennen, als müsseer sie immer wieder zählen. Ich glaub es nicht, nein, murmelt er vor sich hin, das kann nicht sein, was sie da quatscht.
Tatsache ist, dass es so war.
Ora, hör mal zu, spiel jetzt nicht mit mir.
Sie kocht: Hab ich je mit dir gespielt?
Chamama war einen Kilometer von meinem Posten entfernt.
Eineinhalb Kilometer, ja.
Warum hat er mir nie davon erzählt?
Hast du ihm das nie erzählt? hatte sie Ilan damals gefragt.
Wenn ich es bis zu ihm geschafft hätte, dann hätte er es gewusst. Aber ich bin nicht durchgekommen, da hab ich’s ihm auch nicht erzählt.
Auch ohne Avram zu berühren, kann sie spüren, was jetzt in ihm vorgeht. Sie bedeckt ihre Nacktheit mit einem Zipfel ihres Schlafsacks.
Ich versteh das nicht, schreit er beinah, erklär das nochmal, langsam. Wie ist das passiert?
Überleg doch, an Jom Kippur war er in Babel . Da wussten sie schon, dass die Posten einer nach dem andern fallen, dass es furchtbar viele Tote geben würde, es gab entsetzliche Gerüchte, und er saß auch ein bisschen auf den ägyptischen Netzen und horchte …
Was heißt das, »er saß ein bisschen«? Avram springt wütend auf: Ilan war kein Funker, er war Übersetzer! Wer hat ihm überhaupt erlaubt, auf den Netzen zu sitzen?
Ich weiß nicht, ob ihm das jemand erlaubt hat. Er hat bestimmt einen unbemannten Scanner gefunden, und zwischen seinen Schichten als Übersetzer hat er da gesessen und in den Frequenzen gespielt. Du kannst dir ja vorstellen, was für ein Chaos dort in den ersten Tagen herrschte.
Das kann einfach nicht sein, schimpft Avram in seinem schweren Kopf. Ich weiß nicht, warum du mir das erzählst.
Doch plötzlich erinnert er sich, wie Ilan als Junge auf der Skala des alten Röhrenradios in Avrams Wohnung Willis Conovers Jazzprogramm von Voice of America suchte; die grünen Augen zu schmalen Schlitzen verengt, der lange Finger drehte den Knopf und suchte vorsichtig die richtige Frequenz. Avram steht auf und zieht sich eilig an. Diese Nachricht kann er nicht nackt entgegennehmen.
Wieso bist du aufgestanden?
Ich muss das wissen, Ora: Hat er im Netz was gehört?
Warte, eins nach dem andern, lass mich …
Seine aufgerissenen Augen werden immer weiter. Hat er mich gehört?
So kann ich nicht, sagt Ora, steht auf und zieht sich wütend ebenfalls an, wenn –
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