Eine Frau flieht vor einer Nachricht
knotete er das Tarnnetz wieder ab, zog ein VCR-Gerät heraus, stellte es auf einen kleinen Holztisch vor dem Befehlsbunker und wollte gehen. Aber Ilan packte ihn am Arm und fragte noch einmal: Bist du sicher, dass dieses Ding ein M.K.6 empfangen kann? Nein, murmelte der Sicherheitsoffizier, hütete sich vor Ilans Blick wie vor dem eines Hypnotiseurs, das liegt nicht in dessen Reichweite. Dann sorg dafür, dass er den reinkriegt, sagte Ilan. Der Sicherheitsoffizier schluckte, verband das Gerät über einen Draht mit der einzigen noch funktionierenden Antenne des Postens, holte dann einen Schraubenzieher heraus, schraubte das Gehäuse des Gerätes ab, machte sich in seinem Innern zu schaffen und spreizte das Band. Als er fertig war, stand er auf und ging, ohne Ilan anzuschauen, seine Arme baumelten erschöpft, sein Hemdrücken war ein einziger Schweißfleck. Ora erzählt, und Avram zieht sich langsam zu seinem Schlafsack zurück und rollt sich nach und nach ein. Nur sein weißes Gesicht schaut noch raus. Seine Augen treten fast aus den Höhlen.
Ora?
Was …
Das hat er dir alles erzählt?
Ja.
Am Morgen, als Ofer zur Welt kam?
Wie ich es dir gesagt habe …
Was sollte das, warum hatte er vor der Geburt so einen plötzlichen Drang, dir das alles zu erzählen?
Das musst du ihn schon selber fragen.
Einfach so? Da habt ihr am Morgen beim Kaffee gesessen und geredet, und dann hat er dir das erzählt?
Avram, ich erinnere mich nicht mehr so genau an alle Details.
Du hast gesagt, von diesem Morgen hättest du nichts vergessen.
Aber wieso ist das jetzt wichtig?
Ist einfach interessant, findest du nicht?
Was?
Dass er das genau vor Ofers Geburt beschlossen hat, ist schon ein bisschen merkwürdig.
Was ist daran merkwürdig?
Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt …
Ja, ausgerechnet da, verstehst du das nicht?
Avrams Blick forscht in ihren Augen. Sie schaut ihn offen an, versteckt nichts vor ihm. Lässt seinen Blick zu: Sie mit Ilan, und Ofer in ihrem Bauch. Er schaut sie an und sieht.
Hallo, hallo, hallo, hallo, stieg eine Stimme völlig erschöpft aus den Tiefen auf, und Ilan fuhr von seinem Stuhl hoch, dann war das Signal auch schon weg. Wieder stellte er vorsichtig den Zeiger ein. Plötzlich zitterte sein Finger so sehr, dass er ihn nicht mehr unter Kontrolle bekam und den Knopf mit dem Knöchel drehen musste. Schon drei Stunden saß er da, rührte sich kaum, bloß sein Zeigefinger drehte den Knopf in winzigen Bewegungen immer um eine Haaresbreite weiter, seine Augen suchten das Signalfeld ab, feine grüne Stengel, die abwechselnd auf der kleinen Anzeige emporschossen und welkten. Hallo, hallo, hallo, hörte er wieder eine erschöpfte Stimme in der Ferne … Und die Stimme zog sich zurück, mischte sich mit Störgeräuschen, Schreien auf Arabisch, die jemand aus Ismailia einem Kommandeur einer Batterie von Panzerabwehrraketen zuschrie. Ilan versuchte, sich zu beruhigen, sich einzureden, er habe sich geirrt, es sei völlig unmöglich, in diesem höllischen Gewirr eine einzelne Stimme auszumachen. Vorsichtig drehte er den Zeiger des Scanners weiter, wischte dabei über ägyptische und israelische Frequenzen, vermischte mit einer Fingerbewegung hysterische Schreie, Motorengeräusche, Granateinschläge, Befehle, Flüche auf Hebräisch und Arabisch, bis plötzlich wieder aus weiter Ferne schwach und verzweifelt dieses Hallo, hallo, drang, antwortet mir doch, ihr Wichser, und alle Haare stellten sich ihm auf.
Mit beiden Händen drückte er sich die Kopfhörer auf die Ohren und hörte Wort für Wort, wo bleibt ihr denn, ihr Sackamputierten, ihr Skorbutniks, auf dass mein Geist euch bis in den Schlaf verfolgen soll – da riss er sich die Kopfhörer vom Kopf und rannte in den Befehlsbunker, platzte in eine Lagebesprechung des Kommandeurs mit seinen Offizieren und schrie, in Magma ist noch einer, ich hab ihn gehört, ich hab ihn reingekriegt, er lebt.
Der Kommandeur warf ihm einen Blick zu und lief ihm nach, fragtenoch nicht einmal, mit wessen Erlaubnis Ilan geheime Horchgeräte wieder aufgebaut habe, und Ilan setzte dem Kommandeur mit zitternden Händen die Kopfhörer auf, hörst du, er lebt, er lebt! Der Kommandeur stützte sich mit beiden Fäusten auf den Tisch, hörte, legte die Stirn in Falten, und sein Gesichtsausdruck wechselte, Ilan dachte sofort, vielleicht musst du ihm erklären, dass Avram immer so redet; es fehlte nicht viel und er hätte ihm gesagt, man müsse ihn trotzdem retten, obwohl er so redet.
Jahre
Weitere Kostenlose Bücher