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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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Charakter?
    Ich weiß nicht. Vielleicht eine Art Hygiene. Ich will nicht sagen Reinheit, denn Ofer war, auch als Vegetarier – ein Moment des Zögerns, soll sie es ihm sagen? Kann sie ihm das schon sagen? Darf sie? –, er war immer so irdisch, und ich hatte den Eindruck, ein Teil seinerPubertät bestand darin, sich auf einen Schlag und mit Gewalt in diese Richtung zu bewegen und das Gegenteil eines Vegetariers zu werden, es war ein Aufbegehren. Sie lacht verlegen, ich weiß gar nicht, was ich da sage.
    Wogegen denn?
    Vielleicht muss man eher fragen, gegen wen?
    Und gegen wen?
    Was weiß ich – ich schätze mal, gegen die Sanftheit, die Zerbrechlichkeit.
    Avram fragt: Gegen Adam?
    Vielleicht ja. Als hätte er beschlossen – ich weiß es wirklich nicht –, so hart und männlich wie möglich zu werden, mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen, bewusst ein bisschen massiver und irdischer zu sein.
    Der Tag wird immer heißer, beide schweigen, und es ist ihnen angenehm so. Was sie jetzt nicht erzählen, werden sie am Abend erzählen, oder morgen, oder vielleicht in ein paar Jahren. So oder so, es wird erzählt werden. Sie erklimmen den Berg Deborah und legen sich auf ein schattiges Stück Wiese, um ein bisschen auszuruhen. Erschöpft von zwei Bergen, schlafen sie fast zwei Stunden. Als sie aufwachen, sind sie von Familien umgeben, die hier zur Erholung hergekommen sind. An der Stelle, von der man auf den Tabor, den Gilboa, auf Nazareth und die Jesreel-Ebene schaut, hören sie laute arabische Musik aus den offenen Wagentüren parkender Autos, Gerüche von gebratenem Fleisch ziehen durch die Luft; flinke Frauenhände zerschneiden Fleisch und Gemüse, Babys lachen und blöken, Männer rauchen Nargileh, nicht weit von ihnen zielen ein paar Jugendliche mit Steinen auf Glasflaschen, die eine nach der anderen zersplittern, und Ora und Avram springen gleichzeitig auf, was ist das für ein Albtraum? Fassungslos, in welche Tiefen ihre Müdigkeit sie hinuntergerollt hat, als hätten sie nicht genug aufgepasst, packen sie zusammen, nehmen ihre Stöcke und gehen eilig zwischen den Feiernden durch, kein Wort wird gesprochen, sie fliehen, irgendwie beschämt, und auch die Hündin kneift den Schwanz ein. Sie folgen dem Weg, der sie hinunter ins nächste arabische Dorf führt, der Muezzin ruft und der Widerhall seines Gesangs umhüllt sie; Avram erinnert sich an den Muezzin von Abassija,mit dem er, wenn er in der engen Strafzelle saß, mitgesungen und auf dessen Melodie er hebräische Texte gedichtet hat.
    Niedrig und rot schwebt die Sonne über dem Land und bringt mit einer letzten Berührung seine Farben zum Glühen. Gleich ist es dunkel, sagt Avram, wir sollten uns einen Schlafplatz suchen. Die Wegzeichen sind entweder mit Kohle übermalt, oder jemand hat absichtlich die Pfosten ausgerissen oder die Pfeile in die falsche Richtung gedreht, aber hier ist es so schön, flüstert Ora etwas verlegen, als betrachte sie ein Land, das nicht das ihre ist. Vielleicht hat man sie längst auf einen anderen Weg umgeleitet, und der windet sich, begleitet von einem kleinen Fluss, zwischen Olivenhainen und Obstbaumwiesen. In Ora erwachen mit einem stechenden Gefühl Erinnerungen. Ihre gemeinsamen Fahrten, mit Sami und Ofer zum Militär, mit Jasdi, der sich an sie geschmiegt hatte; die Frau, die ihn später stillte, die Leute, die in dem Untergrundkrankenhaus auf dem Boden saßen und sich auf einem kleinen Gasbrenner ihr Essen wärmten, der Mann, der sich hinunterbeugte und einem Verletzten, der vor ihm auf einem Stuhl saß, das Bein verband.
    Dass sie nicht kapiert hatte, was Sami durchmachte, wenn er diese Verwundeten und Geschundenen da sah.
    Wenn sie zurück ist, schwört sie, wird sie als Erstes ihn anrufen und sich entschuldigen. Sie wird ihm genau erklären, in was für einer Situation sie an jenem Tag war, und ihn ganz einfach zwingen, sich mit ihr zu versöhnen. Sollte er nicht dazu bereit sein, wird sie ihm auf die einfachste Weise erklären, dass sie sich aber versöhnen müssten, denn wenn sie beide schon nicht in der Lage wären, sich wieder zu versöhnen, gäbe es vielleicht wirklich keine Chance, den großen Konflikt zu lösen. Und während sie ganz versunken das Gespräch mit Sami plant und im Eifer ihre Lippen bewegt, deutet Avram mit den Augen auf die Kuppe des Hügels vor ihnen, von wo aus, halb hinter einem Felsen versteckt, ein junger Hirte sie mit seinen Blicken verfolgt. Als er sieht, dass sie ihn bemerkt haben, legt er

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