Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Augen schrien, warum spürstdu nicht, wo ich gewesen bin und was ich mache. Warum lässt du mich einfach so …
Genau zu dieser Zeit passierte die Sache mit Ofer, sagt sie kaum hörbar zu Avram, der die ganze Zeit geschwiegen hat. Wir hatten einen verrückten Monat, dauernd gab es Verhöre und Ermittlungen innerhalb des Regiments und in der Brigade, frag nicht. Sie seufzt und schluckt, jetzt ist der Moment gekommen, wo sie es ihm einfach erzählen muss, damit er es weiß, dann soll er selbst urteilen.
In jenen Tagen hatte Ora das Gefühl, dass jedes ihrer Worte und sogar jeder ihrer Blicke von Ofer, Ilan und Adam als Provokation und Vorwand für einen Streit genommen wurde, und bei diesen Busfahrten erholte sie sich ein bisschen von ihnen, aber auch von sich selbst und ihren zänkischen Fragen, die sich nur noch im Kreis drehten und sie, zugegeben, schon selbst verrückt machten. Wenn es ihr zufällig in den Sinn kam, wenn sie den Erkennungston vor den Nachrichten hörte oder an Ofer auch nur dachte, brachen diese Fragen wie ein saures Aufstoßen aus ihr heraus. Es war, als könne sie ohne das nicht mehr an ihn denken.
Aber was war denn da, fragt Avram, was ist denn da passiert?
Sie horcht in sich hinein. Als erwarte sie von dort letztlich auch die Antwort für sich selbst. Avram hält mit beiden Händen die Gurte des Rucksacks, hält sich daran fest.
Eines Tages war Ora aus der Praxis gekommen, hatte sich bei einem Mann und einer Frau, die im Wartezimmer saßen, für ihre Zerstreutheit entschuldigt und war für eine kurze Rundfahrt in den 18er gestiegen, und als sie gerade die Augen geschlossen hatte, hörte sie in einiger Entfernung eine starke Explosion. Danach kam ein Augenblick abgrundtiefer Stille. Die Gesichter der Menschen im Bus brachen langsam auseinander, wurden zu Teig. Scharfer Kotgeruch breitete sich aus, Ora war schweißgebadet. Die Leute begannen zu schreien, zu fluchen, zu weinen, zu betteln, der Fahrer möge anhalten und sie aussteigen lassen. Der Fahrer hielt den Bus mitten auf der Straße an und machte die Türen auf, die Fahrgäste strömten hinaus; sie schlugen und traten um sich, um schneller rauszukommen. Der Fahrer schaute in den Rückspiegel und fragte: Sie bleiben drin? Ora drehte sich um undsah, mit wem er sonst noch sprach, da saß ihr altes Paar, sie umarmten einander, der kleine, beinahe kahle Kopf der Frau drückte sich fest an den Mann, er beugte sich über sie, streichelte ihre Schulter, und auf ihren beiden Gesichtern lag ein Ausdruck, den man nur schwer mit Worten wiedergeben konnte, eine Mischung aus Erschütterung und Angst und gleichzeitig eine furchtbare Enttäuschung. Im Radio begann bereits die Routine der Unglücksberichterstattung – »zuerst möchte ich mein Beileid bekunden, den Verletzten rasche Genesung wünschen und meine Anteilnahme am Schmerz der Familien ausdrücken«, sagten Minister und Sicherheitsspezialisten einer nach dem anderen – es stellte sich heraus, dass die Explosion in einem Bus in der Gegenrichtung stattgefunden hatte, nahe dem Davidka -Denkmal, an einer Stelle, an der Oras Bus nur einige Sekunden vorher vorbeigefahren war. Die Rettungswagen rasten schon zu den Krankenhäusern.
Am nächsten Morgen, am Tag nach dem Anschlag, hatte man an allen Bushaltestellen Soldaten und Polizisten postiert; bei den wenigen Fahrgästen lagen die Nerven blank, sie waren gereizt und noch misstrauischer. Immer wieder Wutausbrüche, wenn jemand drängelte, jemanden anstieß oder ihm auf den Fuß trat, die Leute schrien geradezu in ihre Mobiltelefone, Ora hatte das Gefühl, sie benutzten sie als Atemwege. Als der Bus an der Stelle des Anschlags vorbeifuhr, herrschte völlige Stille. Durchs Fenster sah sie einen Jeschiwastudenten aus dem Trupp für die Identifizierung von Terroropfern in der Krone eines verstaubten Baumes stehen, er klaubte mit Pinzette und einem Taschentuch etwas von den Zweigen und tat es in ein Plastiktütchen. In Bejt HaKerem stieg eine Gruppe Kindergartenkinder in den Bus, einige hielten bunte Ballons, sie plapperten fröhlich, rannten hin und her, und die anderen Leute starrten wie hypnotisiert auf ihre Ballons. Als es schließlich passierte und einer der Ballons platzte, obwohl alle sahen, dass es sich nur um einen Luftballon handelte, stieß der gesamte Bus einen Entsetzensschrei aus, einige Kinder fingen an zu weinen, und die erschöpften Fahrgäste mieden beschämt die Blicke der anderen.
Ab und zu dachte Ora bei diesen Rundfahrten, dass
Weitere Kostenlose Bücher