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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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wenn der Bus an einer Haltestelle hielt, richteten sich alle ein bisschen auf und musterten die Einsteigenden, und auch die beäugten die schon Sitzenden mit Argwohn. Diese Blickwechsel dauerten nur den Bruchteil eines Lidschlags, aber welch ein erstaunlich hochentwickelter Prozess der Kategorisierung, Katalogisierung und des Schlüsseziehens lief in dieser Schnelligkeit ab, und Ora strich sich mit den Händen über das Gesicht und die Stirn und dachte wieder, sie müsse sofort aussteigen und ein Taxi zurück zu ihrem Auto nehmen, doch sie fuhr weiter bis zum Einkaufszentrum in Malcha, zur Endstation dieser Linie, und der Fahrer schaute sie im Rückspiegel an, gute Frau, hier ist Endstation, und Ora fragte, ob es einen Bus zurück in die Stadt gebe. Der da, sagte der Fahrer, zeigte auf einen anderen 18er, aber da müssen Sie rennen, der fährt gleich, ich hupe, damit er auf Sie wartet.
    Sie stieg in den völlig leeren Bus, und für einen Augenblick mischten sich vor ihren Augen Bilder von Splittern und blutüberströmten Fetzen, sie überlegte, welches der sicherste Platz sei, und wäre es ihr nicht peinlich gewesen, hätte sie den Fahrer gefragt. Sie versuchte, sich an die vielen Berichte über Anschläge auf Linienbusse zu erinnern, konnte aber nicht sagen, ob die meisten sich ereignet hatten, als der Terrorist in den Bus stieg, denn dann geschah die Explosion natürlich im vorderen Teil, oder ob er durch den Bus gegangen war und erst in der Mitte, umgeben von den meisten Menschen, Allahu-Akbar geschrien und den Sprengsatz gezündet hatte. Sie beschloss, sich auf die hinterste Bank zu setzen, und verdrängte den Gedanken, dass die Splitter und Metallkugeln auf dem Weg dorthin schon von irgendwem aufgehalten und gestoppt würden. Doch bald fühlte sie sich so weit hinten zu einsam und setzte sich eine Reihe nach vorn. Sie fragte sich, obdiese winzige Bewegung womöglich in ein paar Minuten ihr Schicksal entscheiden würde; im Rückspiegel begegnete sie dem prüfenden Blick des Fahrers und kam plötzlich auf die Idee, er könne noch denken, sie sei die Selbstmörderin.
    Nach einer Stunde Fahrt, sagt sie zu Avram, war sie erschöpft, hatte Angst, ihre Wachsamkeit könnte nachlassen, und tatsächlich fielen ihr die Augen zu, und sie musste mit aller Macht gegen den Drang kämpfen, den Kopf ans Fenster zu lehnen und einzunicken. In den letzten Tagen war sie sich wie ein Mädchen vorgekommen, das viel zu schnell und nicht zu seinem Guten die Geheimnisse der Erwachsenen entdeckt: Eine Woche zuvor, erzählt sie ihm, hatte sie morgens im Café Moment gesessen, das zu dieser Zeit weder leer noch besonders voll war, da war eine dicke kleine Frau in einem schweren Mantel und mit einem in Decken gewickelten Baby auf dem Arm reingekommen. Sie war nicht mehr so jung, vielleicht fünfundvierzig, und wahrscheinlich weckte genau das den Verdacht, denn plötzlich erhob sich ein Geflüster, »das ist kein Baby«, und im Nu war der Ort wie ausgewechselt, die Leute sprangen auf, stießen im Rennen Stühle um, warfen Tassen und Teller zu Boden, stießen andere auf der Flucht nach draußen zur Seite, und die Frau in dem dicken Mantel schaute sich die ganze Aufregung an und schien gar nicht zu verstehen, dass sie das alles ausgelöst hatte. Danach setzte sie sich an einen der Tische und legte sich das Baby auf den Schoß. Ora war nicht in der Lage, sich vom Fleck zu rühren, und verfolgte wie hypnotisiert ihre Bewegungen. Die Frau schlug die Decke zurück, knöpfte ein violettes Mäntelchen auf und lächelte zu dem schlafenden runden Gesicht, das da herausschaute, und sagte dadada dadada.

    Am nächsten Nachmittag, erzählt Ora weiter – sie laufen auf einem Weg zum Aussichtspunkt Resch Laqisch, laufen in den Fußspuren der Tannaiten und der Amoräer, der Tag ist heiß, die Luft glänzt, hier ist der Weg eben, führt zwischen Johannesbrotbäumen, Eichen und Kühen mit prallen Eutern hindurch –, am nächsten Nachmittag bat sie die Sekretärin in der Praxis noch einmal, dem nächsten Patienten abzusagen, ging zur Haltestelle des 18er und fuhr bis zur Endstation, und da sie danach einen freien Nachmittag hatte und nicht allein zu Hausesein wollte, fuhr sie wieder zurück bis zum Anfang der Linie, am Ende des Viertels Kirijat HaJovel, dort wechselte sie den Bus und fuhr zurück ins Stadtzentrum, stieg aus, ging etwas spazieren, betrachtete in den Schaufenstern die Spiegelungen der Straße hinter sich, die Passanten, und versuchte, sich

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