Eine Frau flieht vor einer Nachricht
was in ihr vorging, er bekommt das immer mit, dachte sie, auch wenn er es manchmal abstreitet, und er kam und stellte sich hinter sie und sagte, genug, Mama, komm schon … Er sagte das mit solcher Zartheit, mit einer Stimme, die nur er so hinbekam. Doch sie verhärtete ihr Herz und drehte sich nicht zu ihm um; einen ganzen Monat lang hatten sie diesen Ausflug nach Galiläa geplant, als Geschenk zur Entlassung, das sie sich für ihn und natürlich auch für sich ausgedacht hatte, ihr Geschenk zur Entlassung aus seiner Armee. Nach allem, was sie mit ihm in seiner Zeit beim Militär durchgemacht hatte, sollte es vor allem ein Versöhnungsgeschenk für sie beide werden. Zusammen waren sie losgezogen, hatten zwei kleine Zelte gekauft, die sich ganz klein zusammenfalten ließen, professionelle Rucksäcke, Schlafsäcke und Bergsteigerschuhe – die nur für sie selbst, denn Ofer wollte auf seine ausgelatschten Schuhe nicht verzichten. Und sie hatte, wenn zwischendrin etwas Zeit war, Thermounterhemden gekauft, Mützen, Bauchtaschen und Pflaster für die Blasen, Wasserflaschen, wasserfeste Streichhölzer, einen Campingkocher, Trockenobst, Cracker und Konservendosen. Ofer hob ab und zu die Rucksäcke hoch, die in ihrem Zimmer standen und immer größer wurden, schätzte erstaunt ihr Gewicht, sagte, die entwickeln sich ja gut, ich will es nicht beschreien, und er meinte lachend, sie müsse sich dann noch einengaliläischen Sherpa besorgen, der ihr das alles trägt. Und sie lachte aus vollem Hals, ging beglückt auf seine prima Laune und seine Freundlichkeit ein, die langsam zurückkehrten und sich ihr wieder zeigten. In den letzten Wochen, je näher sein Entlassungstermin rückte, hatte sie gespürt, wie die Geschmäcker und Gerüche langsam aus ihrem Exil zurückkamen. Sogar die Geräusche wurden wieder präziser, wie nach einer Ohrenspülung. Kleine Überraschungen erwarteten sie da, unmögliche Kreuzungen von Sinneseindrücken: Sie öffnet einen Steuerbescheid von der Stadtverwaltung und meint, sie löse das Gummi von einem frischen Bund duftender Petersilie. Ab und zu sagte sie zu sich mit lauter Stimme, damit sie es glaubte: Eine ganze Woche für uns allein, Ofer und ich in Galiläa. Und vor allem sagte sie in den Raum: Ofer kommt vom Wehrdienst zurück. Ofer kommt da heil raus.
In der letzten Woche hatte sie diese Worte immer wieder zu ihren vier Wänden gesagt und war dabei zunehmend mutiger geworden: Der Albtraum ist vorbei, pflegte sie zu sagen, vorbei sind die Nächte mit Luminal und Rescue-Tropfen, flüsterte sie schon fast provozierend und wusste, sie forderte ihr Schicksal heraus, aber da war Ofer schon zwei Wochen auf Entlassungsurlaub, und eine unmittelbare Gefahr war nicht zu erkennen, der große, ewig wirkende Konflikt, von dem sie sich schon vor Jahren losgesagt hatte, zog irgendwo in der Ferne weiter seine dunklen Kreise, hier ein Anschlag, da eine gezielte Tötung, das waren Hürden, die ihre Seele ohne mit der Wimper zu zucken nahm, fast wie im Vorbeigehen. Vielleicht wagte sie diese Hoffnung, weil sie spürte, dass Ofer selbst anfing, daran zu glauben, dass es vorbei war. Bereits vor einigen Tagen, als er nicht mehr achtzehn Stunden am Tag schlief, hatte sie bei ihm eine Veränderung bemerkt, einen ersten Anflug zivilen Lebens, der sich in sein militärisches Sprechen mischte, und auch seine täglich weicher werdenden Gesichtszüge, sogar die Art, wie er sich zu Hause bewegte, wenn er die Erkenntnis zuließ, dass er da wohl heil rauskam, aus den drei Jahren seines beschissenen Militärdienstes. Mein Junge kommt zurück, berichtete sie vorsichtig dem Kühlschrank und der Spülmaschine, der Computermaus und dem Blumenstrauß, den sie in die Vase stellte, obwohl sie, auch aus der früheren Erfahrung mit Adam, der vor drei Jahren entlassen worden war, nur zu gut wusste, dass die Kinder nach der Armeenicht wirklich zurückkommen, jedenfalls nicht so, wie sie vorher gewesen waren: dass sie in dem Moment, wo er verstaatlicht worden war, das Kind, das er gewesen war, für immer verloren hatte, und auch er selbst hatte es verloren, aber wo steht denn, dass das, was mit Adam passiert war, sich mit Ofer wiederholen muss, sagte sie sich, die beiden sind so unterschiedlich, Hauptsache, Ofer kommt aus dem Panzerkorps raus, Hauptsache, er verlässt seinen Panzer – in jeder Hinsicht, jetzt wurde sie sogar poetisch. Eine solche Süße hatte sie gestern noch zu spüren gewagt, als sie aus seiner schlafenden Hand die
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