Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Handrücken den Schweiß von der Stirn und lauscht der Frau, die von ihrem ältesten Sohn erzählt. Der hat diese Woche an einem Gefecht im Gazastreifenteilgenommen. Sieben Soldaten sind da ums Leben gekommen, sagt sie, alles Freunde von ihm, aus seinem Regiment; gestern hat man ihn für ein paar Stunden nach Hause entlassen, und heute früh ist er schon wieder zurück zum Militär.
Und wie er zu Hause war, da haben Sie ihn auch schön gestillt? fragt der Reporter, und Ora ist bestürzt. Ob ich ihn gestillt hab? fragt auch die Frau überrascht, und der Reporter lacht: Nein, ich hab gefragt, ob Sie ihn auch schön verwöhnt haben. Natürlich, lacht die Frau leise, ich dachte, Sie hätten gefragt … Natürlich hab ich ihn verwöhnt. Erzählen Sie uns, wie Sie ihn verwöhnen, bohrt der Reporter weiter, und die Mutter erzählt mit einer Offenherzigkeit, die Ora ganz und gar in Bann schlägt: Wie es sich gehört, hab ich ihn verwöhnt, ich habe gekocht, habe ihm ein gutes Bad eingelassen und ihm das dickste Handtuch hingelegt, das wir haben, und sein Lieblingsshampoo hab ich ihm extra gekauft. Aber hören Sie, sagt sie, wieder ernst, ich habe noch zwei Söhne, Zwillinge, die sind denselben Weg gegangen, den ihr großer Bruder ihnen gezeigt hat, und die sind mit ihm zusammen im Regiment Zabar , meine drei sind alle im selben Regiment, und ich möchte hier übers Radio unsere Armee um etwas bitten, kann ich das? Natürlich können Sie das, sagt der Reporter schnell, und Ora hört sein leises Kichern, was genau möchten Sie der Armee denn sagen? Was soll ich Ihnen sagen, seufzt die Frau, und Ora fühlt sich ihr sehr nah, die beiden Kleinen, die haben in ihrer Grundausbildung so eine Verzichtserklärung unterschrieben, dass sie zusammen in derselben Einheit dienen dürfen, in der Rekrutenzeit war das schön und gut, ich sag auch nichts, aber jetzt müssen sie Grenzdienst machen, und jeder weiß, die Grenze der Givati-Brigade ist Gaza, und was Gaza bedeutet, brauch ich Ihnen nicht zu erklären. Deshalb bitte ich die Armee sehr darum, dass sie sich das noch mal überlegt und dabei auch ein bisschen an mich denkt, entschuldigen Sie, wenn ich …
Und wenn sie mitten in der Kartoffel kommen? denkt Ora, starrt auf die große Kartoffel, die halb geschält in ihrer Hand liegt, oder mitten in der Zwiebel? Mit jedem Moment wird es ihr klarer: Jede Bewegung, die sie macht, ist vielleicht die letzte vor dem Klopfen an der Tür. Wieder ruft sie sich in Erinnerung, dass Ofer garantiert noch immer am Fuße des Gilboa ist und es keinen Grund gibt, jetzt schon inPanik zu geraten, aber die Gedanken kriechen weiter, winden sich um ihre schälenden Hände, und für einen Moment erscheint ihr das Klopfen an der Tür unausweichlich, sie spürt den unerträglichen Reiz des Unglückstriebes, der in jeder menschlichen Situation schlummert, und da vertauschen sich bei ihr Ursache und Wirkung, und die stumpfen, langsamen Bewegungen ihrer Hände um die Kartoffel erscheinen ihr wie das zwingende Vorspiel zum Klopfen an der Tür, geradezu wie der Befehl, der das Klopfen auslöst.
Sie hier, Ofer irgendwo dort, und alles, was in dem gewaltigen Raum zwischen ihr und ihm passiert – all das enträtselt sich ihr in diesem unendlich langen Augenblick, offenbart sich wie in einem Blitz der Erkenntnis als dichtes, kompliziertes Gewebe. Ihr Stehen hier am Küchentisch, allein die Tatsache, dass sie völlig doof diese Kartoffel weiterschält – wie bleich werden plötzlich ihre Finger mit dem Messer –, und all ihre gewöhnlichen häuslichen Bewegungen und auch all die arglosen, scheinbar zufälligen kleinen Bröckchen der Wirklichkeit, die sich in diesem Moment um sie herum ereignet, sie alle sind nichts anderes als zwingende Schritte eines geheimnisvollen komplizierten Tanzes, eines langsamen, ernsthaften Tanzes, an dem sich in diesem Augenblick, ohne es zu wissen, auch Ofer und seine Freunde beteiligen, während sie sich auf ihren Einsatz vorbereiten, und auch die höheren Offiziere, die die Karte zukünftiger Kämpfe studieren, und die Panzerkolonnen, die sie am Rande des Geländes gesehen hatte, wo sie sich alle einfanden, und Dutzende kleinerer, zwischen den Panzern hin und her fahrender Fahrzeuge, und die Menschen in den Dörfern und Städten dort bei denen, die die Soldaten und die Panzer hinter geschlossenen Fensterläden beobachten werden, wie sie durch ihre Straßen und Gassen fahren, und der blitzschnelle Jugendliche, der Ofer mit einem Stein,
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