Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Dungeons-and-Dragons-Bücher, die ihn als Kind so faszinierten, und das Bild der Fußballer von Makkabi Haifa, zu deren Fans er gehörte, als er zwölf war, die er auch mit einundzwanzig noch nicht abhängen wollte.
Vielleicht solltest du nicht in seinem Zimmer rumrennen, nicht die Weben seiner Bewegungen zerreißen, die hier noch ausgespannt sind, nicht den flüchtigen Rest Kindheitsdunst verjagen, der manchmal noch aus einem Kissen aufsteigt, aus dem bereits flaumlosen gelben Tennisball, von der Spielzeugfigur des Kommandosoldaten mit den unendlich vielen winzigen Teilen seiner Kampfausrüstung. Den hatten Ilan und sie ihm und Adam von ihren Auslandsreisen mitgebracht, aus Spielzeuggeschäften, die sie, nachdem die Söhne größer geworden waren, nicht mehr aufsuchten, in die sie aber in ein paar Jahren für die Enkel wieder zurückkehren wollten. Klein und bescheiden waren ihre Träume gewesen, und dann so schnell so schwierig und beinah unerreichbar geworden. Ilan war gegangen, um die Luft des Singlelebens zu atmen. Adam war gleich mitgegangen. Und Ofer war jetzt dort. Sie verlässt rückwärts das Zimmer, achtet darauf, seinen Sachen nicht den Rücken zuzukehren, bleibt stehen und schaut vondraußen in sein Zimmer, mit der Sehnsucht des Verbannten: Da liegt ein zerknittertes Manchester-United-Shirt, eine weggeworfene Socke vom Militär, ein Brief schaut aus einem Umschlag hervor, eine alte Zeitung, eine Fußballzeitschrift, ein Foto von ihm und Talia an irgendeinem Wasserfall im Norden des Landes, die kleinen Hanteln von drei und fünf Kilo liegen auf dem Teppich, ein umgekehrtes Buch. Was ist der letzte Satz, den er gelesen hat? Was der letzte Anblick, den er sehen wird? Eine enge Gasse, ein Steinblock, den jemand auf ihn wirft, das vermummte Gesicht eines jungen Mannes, vor Wut und Hass brennende Augen, und von dort aus – wie schnell sind ihre Gedanken plötzlich – ein Sprung, und sie ist im Büro des Hauptquartiers, eine Soldatin geht an den Schubladenschrank, in dem die Personalakten liegen. So war es zumindest in ihrer Zeit, in der Vor- und Frühgeschichte, heute macht man das alles am Computer – Antippen, ein Flimmern des Bildschirms, Name des Soldaten, Angaben zur Benachrichtigung im Unglücksfall. Hat er ihnen die Aufspaltung der elterlichen Adressen schon mitgeteilt?
Das Telefon klingelt. Zerreißend. Er jubelt, hast du uns im Fernsehen gesehen? Freunde haben angerufen, dass sie’s gesehen haben. Sag mal, flüstert sie, ihr seid noch nicht aufgebrochen, oder? Ausgerückt?! Hast du ’ne Ahnung! Bis morgen Abend rückt hier keiner aus. Sie hört kaum Wörter. Lauscht nur seiner fremden, schon eingedickten Stimme, dem Echo eines weiteren Vertrauensbruchs von dem einen und einzigen ihrer Männer, der ihr immer treu gewesen war; seit gestern, vielleicht seit er die Wonnen des Vertrauensbruchs, der Untreue ihr gegenüber, zum ersten Mal geschmeckt hatte, so schien es ihr, machte er weiter, suchte diesen Geschmack immer wieder, wie ein Tierjunges, das zum ersten Mal Blut geschmeckt hat. Moment mal, Mama, wart mal kurz – und er ruft lachend jemandem zu, der neben ihm steht, was macht ihr da für ein Theater drum, wir gehn da mal kurz rein, blasen ein paar Magazine leer, und schon sind wir wieder weg –, sag mal, er ist wieder bei ihr, redet schnell und sprunghaft, fällt ihr dann überraschend in die Flanke – und das scheint ihm eine gewisse Freude zu machen –, kannst du mir morgen die Sopranos aufnehmen? Auf dem Fernseher liegt eine leere Kassette, du weißt noch, wie man das Video bedient,ja? Während er redet, eilt sie los, in den Schubladen mit den Kassetten nachschauen, wo ist der verkrumpelte Zettel, den sie sich mal von ihm hat diktieren lassen, du drückst auf den Knopf links außen, dann auf den Knopf mit dem Apfel drauf …
Aber was machst du bis dahin? fragt sie, trauert um seine kostbaren Stunden, die man dort verschwendet, er hätte sie zu Hause verbringen können, mit ihr zusammen, aber was hätte sie ihm schon zu bieten gehabt mit ihrem Trauergesicht, und sie denkt, schon bald wird auch er sich irgendwo ein Zimmer nehmen wollen oder wie Adam zu Ilan ziehen. Warum nicht, mit Ilan ist es geil, die drei Pubertierenden werden zusammen die Nächte durchmachen, und kein nervender Erwachsener wird sie stören. Inzwischen erzählt Ofer ihr etwas, und sie kann die Wörter nicht auseinanderhalten. Sie schließt die Augen, sie wird eine Ausrede finden und noch heute Abend Talia anrufen,
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