Eine Frau flieht vor einer Nachricht
verstand.
Aber hier kannst du nicht schlafen, murmelte er zornig, ich hab kein zweites Bett.
Ich will hier auch nicht schlafen, ich fahr weiter. Ich bin gekommen, um dich mitzunehmen.
Er nickte lange, lächelte sogar ein bisschen, mit der Höflichkeit eines Touristen in einem Land, dessen Regeln er nicht kennt. Sie sah, er begriff überhaupt nicht, was sie gesagt hatte.
Wo ist Ilan, fragte er.
Ich fahre für ein paar Tage in den Norden, komm doch mit.
Ich kenne die gar nicht, was ist mit der los. Wie kann sie überhaupt …
Zu ihrem Erstaunen sagte er das, was er dachte, laut. Früher, vor vielen Jahren, war das ein geschickter Trick von ihm gewesen: »Ora begehrt mich nicht mehr, grübelte Avram betrübt und wollte nur noch sterben«, hatte er ihr manchmal gesagt, dann lächelnd geleugnet, es gesagt zu haben, und sie noch bezichtigt, in seine geheimsten Gedanken einzudringen. Aber das hier war etwas anderes. Beunruhigend. So ein inneres, ganz persönliches Reden, das unkontrolliert aus ihm aufstieg. Seine Augen suchten den Sessel, und er ging hin und sank hinein, lehnte den Kopf so weit zurück, dass sein Hals, rot, dick und mit Bartbüscheln, sichtbar wurde. Wo ist Ilan, fragte er wieder, beinahe flehend. Unten steht ein Taxi, das wartet auf mich, sagte Ora, ich möchte, dass du mitkommst. Wohin? Ich weiß nicht, lass uns in den Norden fahren, Hauptsache, weg von hier. Einer seiner Finger bewegte sich schlaff, als dirigiere er in seinem Innern eine Melodie: Und was wirst du da machen? Ich weiß nicht, keine Ahnung. Ich habe ein Zelt, einen Rucksack und Essen für die ersten Tage. Auch für dich hab ich alles dabei, alles schon gepackt. Schlafsack auch. Komm.
Für mich? Sein über die Sessellehne zurückgebeugter Kopf tauchte wieder auf. Rot wie ein Mond. Die ist doch verrückt, murmelte er zu sich, völlig durch den Wind. Und Ora war schockiert, dass er bis zu den Wurzeln seiner Gedanken offen vor ihr lag, und sie verhärtete ihr Herz. Ich geh erst nach Hause, wenn diese ganze Sache dort vorbei ist, sagte sie, komm mit. Er ächzte. Was denkt die sich, als könnte ich plötzlich – er wies mit einer schwachen Handbewegung auf die ganzeWohnung, auf sich selbst, zeigte ihr gewissermaßen sein Beweismaterial und die mildernden Umstände.
Hilf mir, sagte Ora leise.
Er schwieg. Er sagte zum Beispiel nicht, dass sie ihn ja nicht suchen würden, dass sie keinen Grund hätten, auch ihn zu suchen, was hatten sie mit ihm zu schaffen. Er sagte auch nicht, das sei allein ihr Problem. Und dieses Schweigen, dieser Rest von Fairness, den sie in ihm zu erkennen meinte, war ein Hoffnungsschimmer.
Aber vielleicht kommen sie ja gar nicht, versuchte er es, selbst unsicher.
Avram, sagte sie leise, beinahe warnend.
Er holte tief Luft: Vielleicht wird ihm nichts passieren.
Sie beugte sich direkt in sein Gesicht, schaute ihm tief in die Augen, und ein dunkles Aufblitzen sprang zwischen ihnen beiden hin und her, der Bund ihres bitteren Wissens um die schlechtestmögliche aller Welten.
Gib mir zwei Tage, sagte sie, weißt du, was? Gib mir einen Tag, mehr nicht, vierundzwanzig Stunden, das versprech ich dir, morgen Abend bring ich dich hierher zurück. Sie glaubte, was sie sagte, dachte, sie müsse vor allem die ersten vierundzwanzig Stunden überstehen, danach, wer weiß, vielleicht ist dann ja schon alles vorbei, und sie und Avram können jeder in sein Leben zurückkehren, oder vielleicht würde sie nach so einer Nacht und so einem Tag ja selbst aus ihrer Einbildung erwachen, sich wieder fangen, nach Hause fahren und tun, was alle tun: dasitzen und warten, dass sie kommen.
Also, was sagst du?
Er antwortete nicht, und sie seufzte, hilf mir, Avram, nur die ersten Stunden zu überstehen. Er schüttelte heftig den Kopf, seine Augenbrauen verkrampften sich, sein Gesicht wurde ernst und konzentriert. Er dachte daran, was sie für ihn getan hatte, was sie für ihn gewesen war. Was für ein Scheißkerl bin ich, dachte er, noch nichtmal einen Tag kann ich ihr geben. Sie hörte ihn. Zeit schinden muss ich, dachte er mühsam, in ein paar Minuten bin ich schon nicht mehr … Ora hockte sich vor ihn, legte ihre Hände auf die Armlehnen neben seinen Körper. Das wurde ihm unerträglich. Er drehte den Kopf zur Seite. Die ist hysterisch, dachte er wütend, und irgendetwas stimmt auchnicht mit ihrem Mund. Ora nickte, ihr kamen die Tränen. Sie soll gehen, dachte Avram laut, rutschte ruhelos auf seinem Platz hin und her, sie soll schon gehn
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