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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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Ausrufezeichen. Ora stand da, ihr Blick glitt noch einmal von einem Strich zum nächsten, sie konnte nicht davon ablassen, bis sie geprüft hatte, dass wirklich jeder dieser zahllosen senkrechten Striche von einem kleinen waagerechten durchgestrichen war.
    Ein Schlag kaltes Wasser schwappte ihm ins Gesicht, und erschreckt riss er die Augen auf. Steh auf, sagte sie und stellte das Glas ab. Seine Schläfen begannen zu pochen. Er leckte sich das Wasser von den Lippen, hob die Hand, um sein Gesicht vor ihrem Blick zu schützen. Esmachte ihm Angst, von ihr so angeschaut zu werden. Unter ihrem Blick wurde er zu einem Gegenstand, zu einem Koloss, dessen Größe und Gewicht sie abschätzt, dessen Schwerpunkt sie berechnet, und sie überlegt, wie sie ihn am besten vom Sessel weg an einen anderen Ort bringen kann, den er sich noch nicht einmal vorzustellen wagte. Sie stellte sich mit den Spitzen ihrer Schuhe vor seine Schuhe, legte sich seine baumelnden Arme über die Schultern, ging in die Knie und zog ihn zu sich herauf; als er mit seinem ganzen Gewicht auf ihr landete, stöhnte sie, überrascht vom Schmerz. Jetzt ist der Rücken hin, stellte sie fest. Mit dem Fuß tastete sie nach hinten, dachte, sie werde im nächsten Moment mit ihm zusammen fallen. Komm, knarzte sie, wir gehn. Er schnarchte leicht an ihrem Nacken. Ein Arm hing über ihrem gebeugten Nacken. Schlaf mir nicht ein, krächzte sie halb erstickt, bleib wach! Sie tastete sich voran, ohne etwas zu sehen, schlenkerte ihn vor und zurück wie in einem betrunkenen Tanz. Dann zog sie ihn wie einen riesigen Stöpsel durch die Türöffnung, zog auch an der Tür und ließ sie zufallen. Im dunklen Treppenhaus ertastete sie mit dem Absatz den Rand der ersten Stufe. Wieder murmelte er, sie solle ihn doch in Ruhe lassen, und machte allerlei Bemerkungen über den Zustand ihrer Zurechnungsfähigkeit. Dann schwieg er, schnarchte wieder, ein Speichelfaden rann ihren Arm hinunter. Zwischen den Zähnen hielt sie den Plastikbeutel mit seinen Schlaftabletten und seiner Zahnbürste, die sie von einem Regalbrett genommen hatte, und sie bereute es schon, nicht auch ein paar Kleidungsstücke eingepackt zu haben. Trotz des Plastikbeutels redete sie mit zusammengebissenen Zähnen ununterbrochen auf ihn ein, kämpfte darum, wenigstens einen Teil von ihm aufzuwecken und ein Stück weit aus dem dunkeln Schlund herauszuziehen, in dem er zu versinken drohte. Sie atmete ein und aus wie eine Hündin, ihre Beine zitterten; dabei versuchte sie noch, es richtig zu machen, und sagte sich im Stillen wie bei einer besonders komplizierten Therapie vor, der Quadriceps arbeitet in Verlängerung, der große Gesäßmuskel zieht sich zusammen, Zwillingsmuskel und Achillessehne strecken sich; wenn du es so machst, hast du alles unter Kontrolle – doch nichts funktionierte, er war zu schwer, er zerdrückte sie unter sich, und ihr Körper geriet aus den Fugen. Zum Schluss gab sie es auf und versuchte nur noch, ihn, so gut sie konnte, zu bremsen, damitsie nicht zusammen hinunterpolterten, und dabei begann sie – auch darüber hatte sie keine Kontrolle –, Worte hervorzustoßen, die ihr schon seit Jahren nicht mehr über die Lippen gekommen waren, und sie erinnerte ihn an allerlei Vergessenes – von ihm, von ihr und von Ilan – und erzählte ihm eine ganze Lebensgeschichte, abgehackt über vierundsechzig Stufen bis zur Haustür. Von dort aus schleifte sie ihn über einen Weg aus gesprungenen Bodenplatten, überall Müll und zerbrochene Flaschen, bis zu Samis Wagen, der sie durch die Frontscheibe mit ausdruckslosen Augen anschaute und ihr nicht entgegenkam.

    Jetzt blieb sie stehen und wartete auf ihn, und er kam und hielt ein, zwei Schritte hinter ihr inne. Sie zeigte mit der Hand auf die Weite der Ebene, die in frischgewaschenem Grün leuchtete, über und über von Morgenperlchen glitzerte, und auf die fernen Berge, die beinahe violett waren. Es schien ihr, als sei die Luft voll Summen, nicht nur von Insekten, es war, als summe die Luft selbst vor lauter ausbrechender Lebensfreude.
    Der Berg Hermon, sagte sie und zeigte auf ein sehr helles Licht im Norden. Und schau mal da, siehst du, was da entlangführt? Und er zischte, komm, tu mir den Gefallen, und ging los und nun vor ihr her, nur auf die Erde starrend. Aber da ist ein Fluss, den gehen wir entlang, sagte sich Ora im Stillen und lachte seinem sich entfernenden Rücken nach: Du und ich an einem Fluss, hättest du das gedacht?
    Denn über Jahre hatte sie

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