Eine Frau für Caracas
dem Imbiß noch einen kräftigen Schluck zu genehmigen, bevor er auf sein Zimmer hinaufging. Nebenan brannte noch Licht. War das etwa Christines Zimmer? Er lachte lautlos in sich hinein. Vor zehn Jahren hätte ihn Gerda ganz gewiß noch in einer anderen Etage einquartiert...
Ein nettes Mädchen! Ein sauberes Mädchen! Ein gesundes Mädchen! Und dazu noch von Gerda in den guten Kochrezepten seiner Mutter unterrichtet! War der Gedanke, sich eine Frau von Christines Art zu wählen, wirklich so erschreckend und abwegig? Wenn man doch Krafttransfusionen vornehmen könnte, wie man Bluttransfusionen macht, um etwas von Christines Helligkeit auf Anita Eyssing zu übertragen... Aber was sollte das? Man konnte sich die Frau, die man sich wünschte, schließlich nicht in einer chemischen Retorte zusammenbrauen... Er warf den Zigarettenrest durchs offene Fenster in die Dunkelheit hinaus und schlüpfte unter die blaue Steppdecke. Das Bett glitt mit ihm wie auf langen Dünungswellen hinauf und hinab. Der letzte Teil der langen Flugreise war nicht sehr angenehm gewesen. Aber ihn störte das Schaukeln nicht, es wiegte ihn rasch in einen tiefen Schlaf.
Werners Koffer trafen mit zweitägiger Verspätung ein, und sie enthielten auch nicht gerade Anzüge, die für das deutsche Spätmärzwetter berechnet waren. Aber es war doch ein grauer Frescoanzug dabei, in dem er sich auch in Gräfelfing sehen lassen konnte, ohne Aufsehen zu erregen.
»Endlich siehst du wie ein Mensch aus!« begrüßte ihn Gerda mit einem kleinen Seufzer der Erleichterung, als er den Karierten endlich ablegen konnte.
Drei Tage später fuhr er im eigenen Wagen vor. Es war ein silbergraues Ein-Komma-neun-Liter-Cabrio mit roten Ledersitzen, bei dessen Anblick Karin in einen Taumel der Verzückung geriet. Auch Gerda war sichtlich beeindruckt.
»Dyrenhoff wird Augen machen!« sagte sie tiefbewegt. Es klang ein wenig merkwürdig. Es klang, als hätte ihr Dyrenhoff immer, noch heimliche Zweifel daran, daß Werner es drüben zu etwas gebracht habe und daß seine Brieftasche tatsächlich gut gefüllt sei.
Dyrenhoff kam an diesem Abend früher als sonst heim. Werners Hoffnung, er könne Anita Eyssing mitbringen, erfüllte sich nicht. Als Dyrenhoff das funkelnagelneue Cabrio erblickte, machte er tatsächlich tellergroße Augen. Genau dieser Wagen war sein heimlicher Traum, aber er hatte in den letzten Jahren zuviel in das Haus hereinstecken müssen, um sich Träume solcher Art verwirklichen zu können. Er ging dreimal um den Wagen herum, spielte mit den Knöpfen des Armaturenbretts und fuhr eine Proberunde um das Häuserviertel herum. Sein Respekt war unverkennbar, und er wuchs noch, als Werner beiläufig bemerkte, daß er den Wagen bar bezahlt habe. Als ob Gerda die Gedanken ihres Bruders erriete, fragte sie Dyrenhoff, warum Anita Eyssing sich überhaupt nicht mehr blicken lasse.
»Keine Ahnung«, sagte er stirnrunzelnd , »ich habe ihr zwei- oder dreimal angeboten, zum Abendessen mitzukommen, aber einmal hatte sie eine Konzertkarte, und dann irgendwelche andere Verabredungen. Aber da ist eine andere Geschichte, die mir im Magen liegt...«
»Was denn?« fragte Gerda, »betrifft sie Anita Eyssing?«
»Indirekt«, antwortete er und ging ins Haus voran. »Ich begegnete heute vormittag im Anwaltszimmer des Justizpalastes dem Kollegen Langengut...«
»Dr. Langengut hat seinerzeit Severin verteidigt«, erklärte Gerda ihrem Bruder Werner.
»Als Pflichtverteidiger«, ergänzte Dyrenhoff. »Keine dankbare Aufgabe. Und es war ja auch wenig zu machen. Das sah wohl auch Severin ein. Jedenfalls nahm er das Urteil ohne Widerspruch an.«
»Und was macht dir jetzt Kummer?« fragte Werner ein wenig ungeduldig.
»Langengut erzählte mir heute — da er wahrscheinlich annahm, es würde mich als Frau Eyssings Vertreter in ihrem Scheidungsprozeß interessieren —, daß Severin in den nächsten Tagen aus der Haft entlassen wird. Langengut hat es auf dem Gnadenwege erreicht, daß ihm ein halbes Jahr seiner Strafe geschenkt wird. Unter den üblichen Voraussetzungen natürlich.«
»Und was sagt Anita Eyssing dazu?« fragte Gerda, der anzumerken war, daß die Nachricht sie erregte.
»Ich bin bis jetzt nicht dazu gekommen, es ihr zu sagen«, antwortete Dyrenhoff; »das heißt, ich hätte natürlich Gelegenheit dazu gehabt, aber ich fand nicht den Absprung.«
»Warum eigentlich nicht?« warf Werner ein. »Ob es nun früher oder später geschieht, einmal muß sie doch damit rechnen, daß
Weitere Kostenlose Bücher