Eine Frau für Caracas
hinter der Scheidung — stecke noch ein Geheimnis, das beide nicht preisgegeben haben.« Er sah Werner von unten herauf aus seinen klugen Eulenaugen, die durch die scharfe Brille vergrößert wirkten, mit einem merkwürdigen Blick an: »Du hast mich jetzt eine Viertelstunde lang ausgequetscht, mein Lieber. Ohne indiskret sein zu wollen, aber soll das etwa bedeuten, daß du dich für Anita Eyssing ernsthaft interessierst?«
»Lieber Gott«, antwortete Werner achselzuckend, »ja, ich interessiere mich für sie. Aber ob ich mich ernsthaft für sie interessiere, weiß ich selber nicht genau, falls du unter ernsthaft verstehst, daß ich etwa ernsthafte Zukunftsabsichten hätte. Sie ist eine fabelhaft gutaussehende Frau. Und ich hätte nichts dagegen, sie näher kennenzulernen.« Er starrte über den Kopf seines Schwagers hinweg auf ein Bild aus der Ruisdael-Schule , eine Mühlenlandschaft in lichten Brauntönen, die ihn in diesem modern eingerichteten Raum ein wenig störte.
»Ihr müßtet euch da etwas Neueres hinhängen«, murmelte er und fuhr im gleichen Atem fort: »Übrigens habe ich eine Bitte an dich, Lothar. Du wirst sie sicherlich merkwürdig finden...«
Dyrenhoff sah ihn fragend an.
»Erlaube mir, daß ich Anita Eyssing die Nachricht von der bevorstehenden Entlassung ihres ehemaligen Mannes überbringe.«
Für einen Moment war Dyrenhoff nahe daran, die soeben geputzten Brillengläser zum zweitenmal blank zu reiben. Im letzten Moment steckte er das Lederläppchen in die Brusttasche zurück. Aber auch Gerda warf Werner einen überraschten Blick zu.
»Jetzt verstehe ich dich wirklich nicht, Werner...«
Dyrenhoff legte die Hand auf ihren Arm: »Ich verstehe auch nicht recht, was er damit bezwecken will. — Aber bitte, Werner, wenn dir daran gelegen ist, von mir aus sollst du deinen Willen haben. Ich muß dich nur bitten, nicht allzulange zu warten. Auf einen oder zwei Tage kommt es natürlich nicht an.«
In diesem Augenblick stürmte Birgit ins Zimmer und meldete, Christine ließe sagen, das Essen sei angerichtet. Sie hängte sich bei Werner ein.
»Ein Pfundswagen, den du dir zugelegt hast, Onkel Werner. Drehen wir damit nach dem Essen eine Runde?«
»Wenn du magst...«
»Und was macht das Fahrrad, das du mir versprochen hast?«
»Ich habe es heute bestellt. Es wird morgen geliefert.«
»Wahrhaftig, Onkel Werner? Wie sieht es aus?«
»Blau mit einem Haufen Nickel daran...«
»Und hat es einen Rennsattel?«
»Es hat einen Sattel, daß du nach fünf Minuten Schwielen auf dem Allerwertesten haben wirst.«
»Oh, Onkel Werner, du bist einfach goldig!« schrie Birgit und stürzte hinaus, um die große Neuigkeit in der Küche zu verkünden.
»Und ich finde, daß du verrückt bist!« sagte Dyrenhoff grollend. »Den Bälgern solche Geschenke zu machen! Der Bengel hat natürlich gestern Christine damit in den Hintern geschossen. Nicht mit Absicht, behauptete er. Christine wäre ihm in den Schuß gelaufen... Na, zuerst hat Christine ihm eine geklebt und ich hinterher. Für alle Fälle. Und Karin ist völlig durchgedreht. Weißt du, was sie mich allen Ernstes gefragt hat?«
»Na...?«
»Ob sie dich heiraten könnte, wenn du drei oder vier Jahre warten würdest!«
»Lieber Gott! Und was hast du ihr geantwortet?«
»Daß Ehen zwischen so nahen Verwandten leider verboten sind. Ich kann nur hoffen, daß sie sich nicht auch noch irgendwo anders erkundigt. Als Jurist wäre ich bei ihr abgemeldet...«
»Ich meine, sie wäre zufrieden, wenn sie deinen Wagen heiraten könnte«, meinte Gerda. »Aber komm jetzt, Christine hat das Essen aufgetragen.«
Werner hielt seine Schwester noch einen Augenblick zurück: »Du könntest mir einen Gefallen tun, Gerdachen ...«
»Herzlich gern, was soll’s denn sein?«
»Ich stifte für morgen abend eine Bowle. Lade Anita Eyssing
dazu ein.«
Gerda stieß einen kleinen Seufzer aus: »Gut, ich werde sie morgen vormittag anläuten«, sagte sie, als könne sie das Schicksal nicht aufhalten.
Es wurde mehr als eine schlichte Bowle. Es wurde ein Festakt. Die Kinder hatten beschlossen, den Wagen zu taufen. Und eigentlich war es sogar eine Doppeltaufe. Birgits neues Fahrrad stand neben dem Cabrio und bekam von dem Fingerhut voll Sekt, den Karin als Patin und Festordnerin über den Kühler spritzte, auch ein paar Tropfen ab. Karin hatte Berndi sogar eine Taufrede in Versen eingetrichtert. Der Stapellauf eines Ozeandampfers hätte nicht feierlicher begangen werden können. Berndi
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