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Eine Frau für Caracas

Eine Frau für Caracas

Titel: Eine Frau für Caracas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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den Schweiß von der Stirn und vom Gesicht. Werner hatte das Gefühl, er sei in dieser Stunde um zehn Jahre älter geworden. Seine Falten kerbten sich tiefer ein, und die Haut wirkte wie zerknittertes Pergament. — »Ich konnte mich an nichts erinnern. Aber ich las den Brief. Ich las ihn zehnmal hintereinander. Und ich sah den beschädigten Wagen. Und ich las in der Nachmittagszeitung eine genaue Darstellung des Unfalls, den nur ich verschuldet haben konnte, denn man hatte an winzigen Lackspuren am Fahrrad des Toten festgestellt, daß es sich um einen roten Wagen gehandelt habe. Am Abend stellte ich mich der Polizei und wurde verhaftet. Es bestand Fluchtverdacht. Der Prozeß fand vier Wochen später statt. Die Zeugenaussagen waren eindeutig gegen mich. Und ich bestritt meine Schuld nicht, denn ich konnte sie nicht bestreiten.«
    Werner umspannte das kleine Colaglas mit den Fingern, als wolle er es zerbrechen. Eine zornige Blutwelle färbte sein Gesicht dunkel.
    »Das also ist das Ende Ihrer Geschichte, Herr Severin«, sagte er erregt. »Es ist keine schöne Geschichte. Es ist eine scheußliche Geschichte. Es ist eine tragische Geschichte von zwei Menschen, die sich nie hätten finden dürfen. Und ob Sie es hören wollen oder nicht, ich meine, daß Ihr Schuldanteil an den unglücklichen Verhältnissen nicht gering ist! — Aber jetzt wollen Sie doch auch noch behaupten, daß nicht Sie den Unfall verursacht haben, sondern daß Ihre Frau am Steuer saß und daß sie es war, die den alten Mann getötet hat! Und daß weiterhin Ihre Frau es war, die Ihnen die Schuld in die Schuhe geschoben hat und Sie mit dieser Niedertracht auf eine bequeme Weise loswerde. Das wollen Sie doch behaupten, nicht wahr?«
    Severin richtete sich auf, er befeuchtete mit der Zungenspitze die spröden Lippen und sah Werner ruhig in die Augen.
    »Jawohl«, sagte er langsam, »genau das behaupte ich. Und daß meine Behauptung stimmt, wird mir meine ehemalige Frau bestätigen. Das ist der Grund, warum ich mit ihr sprechen muß!«
    »Ich nehme Ihnen jedes Wort Ihrer Geschichte ab, Severin«, sagte Werner, »jedes Wort! Nur nicht den Schluß! — Er ist eine Konstruktion, die Sie erfunden und in die Sie sich so lange verbohrt haben, bis sie Ihnen so geläufig wurde, daß Sie sie für wahr halten. Aber Sie übersehen den logischen Bruch, den Ihre Konstruktion enthält. Hätten Sie mir erzählt, Sie hätten am Morgen Arsen oder Zyankali in Ihrem Kaffee gefunden, oder Ihre Frau hätte Sie auf irgendeine andere Weise umzubringen versucht, es wäre schlimm genug, aber das läge irgendwo auf der Linie Ihrer fürchterlichen Geschichte. Daß sie aber einen glatten Mord an einem Fremden begangen haben soll, um Sie damit zu belasten — verzeihen Sie, aber das ist ein Umweg, der einfach absurd ist!«
    »Sie hätten mir das Ende der Geschichte überlassen sollen, Herr Gisevius«, sagte Severin sehr ruhig, »dann wären Sie nämlich nicht auf diesen Irrtum verfallen. Natürlich behaupte ich nicht, daß meine ehemalige Frau einen Mord begangen hat, daß sie also den alten Mann, der auf seinem Rad zum Pilzesammeln unterwegs war, etwa absichtlich überfahren hat. Es war ein Unfall und nichts anderes. Sie war ja selber in höchstem Grade erregt, und Sie wissen als Autofahrer so gut wie ich, wie leicht etwas passiert, wenn man unkonzentriert ist. Zudem geschah der Unfall zu jener Stunde, in der die Nacht noch nicht vorüber und der Morgen noch nicht da ist, graues Licht, in dem die Scheinwerfer fast wirkungslos sind. Sie hat den Mann einfach übersehen oder zu spät bemerkt. Vielleicht wurde der Alte — er war über siebzig Jahre alt — auch unsicher, als er den Wagen hinter sich hörte. Es war nur ein leichter Wischer, ein Streifen der Schulter mit dem Seitenspiegel, und das Unglück war geschehen...«
    Werner unterbrach ihn mit einer Handbewegung: »Genug davon, es interessiert mich nicht allzu sehr, wie das Unglück geschah, sondern jetzt möchte ich wissen, wer den Unfall verursacht hat! Wie wollen Sie mir beweisen, daß nicht Sie am Steuer saßen, sondern Anita Eyssing, Ihre ehemalige Frau?«
    »Ich habe dafür keinen Beweis. Aber ich will mich ja auch gar nicht vor Ihnen rechtfertigen, Herr Gisevius! Was Sie glauben oder nicht glauben, ist mir völlig gleichgültig. Ich brauche die Rechtfertigung für mich selber! Es geht um mein Leben, und nicht um das Ihre!«
    »Und wie wollen Sie die Wahrheit erfahren?«
    »Durch das Geständnis meiner ehemaligen Frau, durch

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