Eine Frau für Caracas
ihr Eingeständnis, daß ich an jenem Unfall schuldlos war!«
»Wollen Sie dieses Geständnis aus ihr herausprügeln?« fragte Werner scharf, »wollen Sie sie in die Knie zwingen? Oder wie wollen Sie es sonst erreichen? Glauben Sie etwa, daß Sie nur zu fragen brauchen, um von ihr die Wahrheit zu erfahren? Vorausgesetzt, daß es wahr sein sollte, was Sie vermuten...«
»Ich vermute es nicht, sondern ich weiß es!« sagte Severin gelassen.
»Wenn ich Sie recht verstanden habe«, sagte Werner mit deutlicher Ironie, »dann bestand bei Ihnen eine Erinnerungslücke, die mehrere Stunden umfaßte . Und zwar eine totale Verdunklung!«
»Ja, ein totaler Gedächtnisschwund«, nickte Severin bestätigend. »Und was der medizinische Sachverständige vor Gericht erklärte, hatte gewiß seine Richtigkeit. Ich bin weder Mediziner noch Psychiater, deshalb kann ich Ihnen keine wissenschaftliche Theorie entwickeln, sondern nur erzählen, was mir geschah. Wochenlang zweifelte ich nicht daran, den Unfall verursacht zu haben und zu Recht verurteilt worden zu sein. Aber dann kam etwas, was vielleicht mit einer Regeneration jener Zellen zusammenhängt, in denen wir unsere Erinnerungsbilder aufbewahren. Der Nebel jener entscheidenden Stunden begann sich zu lichten. Zögernd zunächst, es waren nicht mehr als ganz schattenhafte Bilder, aber sie wurden immer deutlicher, immer klarer, immer schärfer, sie kamen heraus wie das Negativ eines Films in der Entwicklerlösung...«
»Und was sahen Sie auf diesem verspäteten Film?« fragte Werner mehr boshaft als interessiert, und der Zweifel stand ihm deutlich im Gesicht geschrieben.
»Sie stieg ins Auto. Ich hatte die Arme aufs Steuerrad gelegt und hatte wohl ein paar Minuten geschlafen.
>Mach, daß du vom Steuer wegkommst!< sagte sie. >Mach, daß du vom Steuer wegkommst, du Schwein!<
Der Haß und die Verachtung in ihrer Stimme machten mich rasend. Sie hatte den Zündschlüssel bereits eingesteckt. Ich drehte ihn herum, und der Motor sprang augenblicklich an. Ich kuppelte aus und drückte den ersten Gang herein.
>Bist du wahnsinnig geworden?!< schrie sie mich an.
>Zum Teufel mit dir!< brüllte ich, »zum Teufel mit uns beiden! Ich mache mit uns am nächsten Baum Schluß!<
Und trat das Gaspedal durch, daß hinten der Kies wegspritzte. Sie schrie auf. Ich schoß in verrückter Fahrt über den Parkplatz und auf die Straße hinaus, riß den Wagen in eine Kurve, und plötzlich verstummte sie neben mir, preßte die Hände vor den Mund und starrte wie gelähmt geradeaus, in der sicheren Erwartung, ich würde tatsächlich gegen den nächsten Baum rasen. Ich kann Ihnen sogar genau sagen, was mir in jenen Sekunden durch den Kopf ging: nein, betrunken stirbst du nicht! Du tötest sie und dich nicht in einem besoffenen Wutanfall, sondern morgen, wenn du nüchtern bist! Du erschießt sie und dich morgen eiskalt, aber nicht ohne eine schriftliche Rechtfertigung, warum es geschehen muß! — Lächerliche Überlegungen, nicht wahr? Genau dem gleichen unter Alkohol stehenden Hirn entsprungen wie der Vorsatz, den Wagen an einem Baum zerschellen zu lassen. Und sicher haben Sie recht, wenn Sie das annehmen. Aber ich registriere ja auch lediglich, was damals geschah und wie genau sich die Erinnerung an jene Minuten und Stunden wieder einstellte.
Ich trat so heftig auf die Bremse, daß der Wagen schleuderte, aber ich brachte ihn zum Halten. Der Wagen hatte, wie alle Sportmodelle, eine Knüppelschaltung; man konnte nicht einfach auf den anderen Sitz hinüberrutschen. Ich sagte ihr, sie möge weiterfahren, aber bevor ich ausstieg, zog ich den Zündschlüssel ab, denn ich mußte damit rechnen, daß sie mir einfach davonfuhr und mich auf der Straße stehenließ. Als ich mich auf den rechten Sitz niederließ, saß sie schon hinter dem Steuer; sie hatte die Beine über den Schaltknüppel hinweggehoben, und ich sah, daß sie die Hand vom Armaturenbrett zurückzog, wo sie tatsächlich den Zündschlüssel zu finden gehofft hatte.
>Das hätte dir gepaßt, nicht wahr?< höhnte ich; mein, meine Teure, wir fahren zusammen oder überhaupt nicht. Da hast du den Zündschlüssel. Fahr oder fahr nicht...<
Sie zögerte eine Weile. Wahrscheinlich überlegte sie, ob sie nicht doch aussteigen, die paar hundert Schritte zurücklaufen und mit einem anderen Wagen heimfahren sollte. Mir war das gleich. Die Hauptsache war mir, sitzen zu können und die Augen zu schließen, denn jetzt kam die schwere Welle der Trunkenheit über mich,
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