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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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Umerziehung. (Das Wort hat er aus dem Radio.) Ich fragte ihn, wie weit er in seinen Verhandlungen mit den Russen bereits gediehen sei. Worauf er meinte, damit habe es Zeit – erst gelte es, alles Papier aufzukaufen, das in Berlin übriggeblieben sei, um so von vornherein eine Konkurrenz auszuschalten.
    Zweifellos hält sich der Ungar für den Ullstein und den Hearst der Zukunft. Er sieht Hochhäuser, wo wir Trümmer sehen, träumt von einem Mammutkonzern. So inspirierend wirkt eine Hosentasche voll US-Dollars.
    Trotz meiner Zweifel und Bedenken hab ich mich sogleich mit dem Zeichner zusammengesetzt und Umbrüche für eine Zeitungs-Titelseite entworfen. Der Ungar wünscht Großformat und viele Photos. Was die Druckmaschine betrifft, so macht Ilses Mann als Ingenieur sich dafür stark. Er kennt eine Druckerei, die noch zur Hälfte unter lockerem Brandschutt liegt. Die im Schutt versteckten Maschinen seien, so meint er, bei fachmännischer Behandlung leicht wieder brauchbar zu machen. Ich erwiderte, daß die Freilegung wohl erst stattfinden könne, wenn die russischen Truppen abgezogen seien. Doch Herr R. sagte lächelnd, Maschinen wie diese seien den Siegern zu altmodisch; die hätten Fachleute dabei und seien überall nur auf das Beste und Neueste erpicht.
    Ich kam gut heim, bin noch steif in den Beinen von dem schnellen Gehen. Doch fühle ich mich munter und wittere eine Chance.
    Jetzt kommt es auf mich selber an. Morgen soll die planende Arbeit für die Zeitschriften beginnen. Als Büro dient uns einstweilen die Wohnung des Ingenieurs. Mein Mittagessen soll ich auch dort erhalten. Ilse hat ein Säckchen Erbsen durchgeschleust. Gut so.
    Eine kleine Leckerei hab ich mir für den Abend ausgedacht. Vom Zuckerrest in der Tüte hab ich einen Teelöffel voll in ein kleines Glas gefüllt. Daraus tupfe ich nun mit der Zeigefingerspitze Süßigkeit auf, langsam und bedächtig; ich freue mich auf jedes Abschlecken und genieße die süßen Kristalle auf der Zunge mehr als je eine Schachtel Friedenspralinen.
    Montag, 4. Juni 1945
    Früher Marsch nach Charlottenburg, Schwüle. Unsere Zeitschriften bekommen schon ein Gesicht. Ich stellte dafür Texte aus verbotenen Autoren zusammen, soweit sie in Greifweite vorhanden; in Herrn R.s Bücherei oder sonstwo im Hause. Maxim Gorki, Jack London, Jules Romains, Thomas Wolfe, auch ältere Autoren wie Maupassant, Dickens, Tolstoi. Fragt sich nur, wie man, soweit diese Autoren noch nicht frei sind, an die Verlagsrechte kommt, da noch keiner der alten Verlage wieder existiert. Den Ungarn stören solche Nichtigkeiten überhaupt nicht. Er ist fürs Abdrucken. »Wenn nachher einer kommt und fordert Geld, so zahlen wir eben.« Er klopft auf seine Hosentasche. Ein Fahrrad hat er bereits aufgetrieben, er stellt es dem »Verlag«, der einstweilen nur in der Luft besteht, großartig zur Verfügung.
    Zu Mittag gab es tatsächlich Erbsensuppe, leider nicht ganz vorschriftsmäßig: Die Erbsen, so sagt Ilse, lassen sich einfach nicht weichkochen. Drum hat sie den ganzen Klumpatsch durch den Wolf gedreht. Es schmeckt rauh wie Sand, läßt sich aber herunterbringen. Dafür war ein Käntchen Speck in der Suppe mitgekocht, ich bekam die Schwarte, weil ich so viel marschieren muß. Müßte mich mal wieder wiegen, hab das Gefühl, daß ich schnell vom Fleisch falle. Alle Röcke schlabbern bereits.
    Gegen 18 Uhr Heimmarsch. Die Straßen waren belebt von vielen müden kleinen Karawanen. Woher? Wohin? Ich weiß es nicht. Die meisten Gruppen zogen in Richtung Ost. Die Gefährte glichen einander: Armselige Handkarren, mit Säcken, Kisten, Koffern hoch beladen. Davor, oft in Stricke gespannt, eine Frau oder ein älterer Junge. Hinterdrein kleinere Kinder oder ein karrenschiebender Opa. Fast stets oben auf dem Gerumpel des Karrens noch Menschenwesen: ganz kleine, Kinder oder etwas Altes. Schrecklich sehen diese Alten, ob Mann oder Frau, zwischen dem Kram aus. Fahl, verfallen, schon halb gestorben, teilnahmslose Knochenbündel. Bei Nomadenvölkern, wie den Lappen oder den Indianern, sollen sich die hilflosen Alten früher selber an einem Ast erhängt oder sich im Schnee zum Sterben verkrochen haben. Das christliche Abendland schleppt sie mit, solange sie noch atmen. Viele wird man am Wegrand verscharren müssen. »Ehret das Alter«, ja – aber nicht auf dem Fluchtkarren, da ist nicht Ort noch Zeit dazu. Hab über die soziale Stellung der Alten nachgedacht, über Wert und Würde derer, die lange lebten. Einstmals

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